Moshe Zuckermann. Wagner. Ein ewiges deutsches Ärgernis


Keine Bereicherung der Wagnerliteratur, sondern ein Ärgernis


Keine Bereicherung der Wagnerliteratur,

sondern ein Ärgernis


Moshe Zuckermann: Wagner. Ein ewig deutsches Ärgernis. Westend Verlag 144 S.



"Selbst ernsthafte Wissenschaftler verlieren bei Wagner mehr als einmal ihren Verstand und beginnen zu schwadronieren."  Recht hat Dieter Borchmeyer. Wagner ist janusköpfig und ein komplizierter Fall. Umso wichtiger ist es, sich ihm sachlich und mit gebotener historischer Differenziertheit anzunähern. In jedem Fall gilt, was der israelische Historiker Jakob Katz (in seinem vorzüglichen, aber wenig bekannten Buch „Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus“ einfordert: die Deutung Wagners "aufgrund der Gesinnung und der Taten von Nachfahren, die sich mit Wagner identifizierten, ist ein unerlaubtes Verfahren.“ Ist Wagner und seine Rezeption heute noch ein deutsches Ärgernis, gar ein ewiges, wie der Titel suggeriert? Viele Autoren haben das behauptet und von Wagner „eine gerade Linie zum Faschismus“ gezogen: Um nur einige zu nennen, Rudolf Schottlaender, Berndt Wessling, Richard Kuby, Hartmut Zelinsky, Peter Viereck, Paul Lawrence Rose, Robert W. Gutman, Joachim Köhler und Klaus Umbach. Der hat 1982 ein Buch mit dem Titel „Richard Wagner. Ein deutsches Ärgernis“ geschrieben. Auf diesen provokativen Titel bezieht sich Moshe Zuckermann ausdrücklich mit seinem Essay, den er als Ergebnis „einer lebenslangen Faszination“ verstanden wissen möchte. Halb Anklage, halb Entschuldigung Wagners, ist dieses höchst subjektive Buch ambivalent, zudem verzichtet es auf Fußnoten, Bibliographie und jeden kritischen Apparat. Es ist wieder einmal das Paradebeispiel einer „von Hitlers Wagner-Usur­pation aus rück­blickenden Interpretation Wagners und daher schon rein methodologisch be­trachtet Fehl­in­ter­pre­ta­tion“ (so Jacob Katz).


Schon zur Hundertjahrfeier der Bayreuther Fest­spiele – 1976 - hat der da­malige deut­sche Bundespräsident, Walter Scheel, in seiner bemerkenswerten Rede auf ein weitverbreitetes Miss­­verständnis hingewiesen: „Ich glaube nicht an die di­rek­te Linie Wagner-Hitler. Man hat noch mehr solche 'historischen' Linien gezogen. Sie beru­hen alle auf Geschichtsbildern, die allzu simpel sind.“ Walter Scheel fügte hinzu: "Sicher, Wagner war ein Antisemit. Aber es ist einfach falsch, zu behaup­ten, Hitler habe seinen Anti­se­mitismus von Wagner übernom­men. Beide, Hitler und Wagner, sind Teil einer unheilvollen antisemitischen Unterströmung des europäi­schen Geistes. Aber Hitler wäre sicher auch ohne Wagner Antisemit geworden."


Friedrich Nietzsche hat als Erster bemerkt, dass Wagner „unter Deut­schen bloß ein Miss­verständnis ist“. Diesem Missverständnis wird in vorliegender Publikation wiedr einmal das Wort geredet.



Der Autor, Soziologe und Historiker in Tel Aviv, macht es sich allzu einfach. Er schreibt ausschweifend drauflos und lässt noch einmal alle heiklen Themen gegen Wagner Revue passieren, Wagners Weltanschauung, vor allem seinen Antisemitismus, die fatale Rezeption Wagners und seine Ächtung in Israel. Schließlich stellt er überflüssigerweise Leben und Werk des „revolutionären Tondichters“ noch einmal dar. Doch man erfährt nichts Neues bei Zuckermann. Auch sind viele fragwürdige Behauptungen Zuckermanns von der Wagnerforschung längst widerlegt worden, beispielsweise, dass Wagners Bühnenfiguren wie Mime und Kundry, Beckmesser und Klingsor Judenkari­katuren sein sollen. Dass Wagners (von Karl Marx übernommenen) Antisemitismus in sich brüchig, ja widersprüchlich ist und sich im Laufe seines Lebens stark verwandelt von Aggressivität zu Versöhnungsmilde, ignoriert Zuckermann ebenfalls. Er wärmt alte, längst korrigierte, ja widerlegte Vorurteile auf, wobei er sich hauptsächlich auf nicht näher erörterte „Bedeutungen“ und „intermedialen Kontext“ stützt. Zuckermann spricht absurderweise Wagner revolutionäre Tendenzen ab und stellt sein gesellschaftskritisches, utopisch-sozialistisches Gesellschaftskonzept in Frage. Doch Bühnenwerke, revolutionäre Essays und Aufsätze, nicht zuletzt das rebellische, antibürgerliche, staatsfeindliche Leben Wagners sprechen eindeutig dagegen. Zu schweigen von Cosima Wagners Tagebuchnotizen und Richard Wagners Briefen.  


Besonders ärgerlich ist der Text auf dem rückseitigen Umschlag des Buches. Da heißt es tatsächlich: „In seinem Buch zeichnet Moshe Zuckermann die Gestalt Wagners als das ‚deutsche Ärgernis‘ nach, seine Wandlung vom linken Revolutionär zum angepassten Königstreuen.“  Eine falsche, geradezu absurde Behauptung, die von allen Zeugnissen Wagners Lügen gestraft wird. Wer Wagners Briefe kennt, weiß, welch kritische, geradezu anarchische Haltung Wagner zu jeder Art von (deutscher) Staatsmacht hatte. Königstreue, auch und gerade Ludwig II. gegenüber hegte Wagner nie! Im Gegenteil, er befleißigte sich zwar in den Briefen an Ludwig II. eines hymnischem Anrede- und Verehrungsstils im romantischen Männerfreundschaftsvokabular. Es war an theatralischer Etikette, und Gefühlspathos nicht zu übertreffen, doch in Wahrheit benutzte er den König nur als mäzenatische Quelle, die immer sprudelte. Seines Werkes wegen riskierte er am Ende sogar den Bruch mit dem bayerischen König. Wagner war nie angepasst, war immer selbstsüchtiger Rebell, er verspielte mehr als einmal alle sozialen und materiellen Sicherheiten, wenn es um die Utopie seines Werks ging. Dass der König sich nur an den Oberflächenreizen seines Werks und seiner Musik berauschte, ärgerte Wagner über viele Jahre. Er wusste, dass der König ihn nicht verstand und nur als Suchtmittel gebrauchte. Was Ludwig II. angeht steht das Entscheidende in Cosimas Tagbüchern: Am 25 Oktober 1869 habe Wagner zu ihr gesagt „Man muss noch Gott danken, dass ein Wesen wie der König einen so sonderbaren Sparren im Kopf hat.“  Wagner nennt Ludwig II. mehrfach einen „Kretin“. Daher schämte sich Wagner des verlogenen Briefwechsels mit dem König. Er lebte „von der Gnade eines Königs, der mich nicht verstehen will!“ heißt es am 3. Jan. 1874 in den Tagebüchern Cosimas. Aber schon am 20. Juli 1871 notierte Cosima „Richard bricht in Tränen über den König aus, …nach allen Seiten habe er Wahrhaftigkeit sich erobert, einfach stehe er da und mit dieser einen Lüge würde er zu Grabe gehen. Er weint heftig.“


Im Zentrum des Buches steht Wagners angeblicher Rassismus. Zuckermann scheint die eindeutig antirassistischen, ja pazifistischen Spätschriften Wagners nicht zu kennen. Er kennt offenbart nur Wagners in der Tat infame Schrift über „Das Judentum in der Musik“. Dass er sie später zurücknahm, verschweigt Zuckermann. Am 2. Juli 1878 bezeichnete Wagner gegenüber Cosima die Juden „als die allervornehmsten“. Zu schweigen von seiner Wertschätzung Mendelssohns und Fromental Halévys.  Am 12. August 1879 sagte er zu Cosima, „dass die Juden schließlich doch besser seien als die Bildungsphilister“ unter den Nichtjuden. Am 22. November heißt es; „Wenn ich noch einmal über die Juden schreibe, würde ich sagen, es sei nichts gegen sie einzuwenden.“


Dass Wagner sich vom aufkommenden Rassen- und Radauantisemitismus, der seit den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts aufkam, (deren Repräsentanten waren Hartwig von Hundt-Radowsky, Wilhelm Marr, der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker, Bernhard Förster, Max Liebermann von Sonnenburg, Paul de Lagarde Eugen Düring, Julius Langbehn und Theodor Fritsch) deutlich distanzierte, scheint Zuckermann ebenso entgangen zu sein wie Wagners   ablehnende Haltung gegenüber dem Rassisten Gobineau. „Die Racen haben ausgespielt“ äußert Wagner am 17. Dezember 1881 gegenüber Cosima, als er am „Parsifal“ schrieb, der als künstlerischer Ausdruck christlichen Mitleids- und Versöhnungsethos begriffen werden darf. Schon am 28. März 1881 habe Wagner gesagt, der „Parsifal“ sei „seine letzte Karte,“, ganz im Gegensatz zu Gobineau, der gesagt habe „die Germanen waren die letzte Karte, welche die Natur auszuspielen hatte.


Auch diese Äußerung verschweigt Zuckermann. Stattdessen beschwört er noch einmal die vermeintlichen Folgen des kulturpessi­mistischen „Dreigestirns ewig verbundener Geister“, Wagner, Nietzsche, Schopenhauer als geistesgeschichtlichen „Vorlauf des Nazismus im 20. Jahrhundert“. Die Wagner­forschung, die Zuckermann offenbar nicht kennt, ist längst zu ganz anderen Ergebnissen gekommen. Wagner spielt im Prozess des aufkeimenden modernen deutschen Antisemitismus nur eine Nebenrolle, wie schon Egon Voss, einer der besten Wagnerkenner, aber auch Udo Bermbach und Jakob Katz betonten. Vollends verwunderlich ist, dass Zuckermann viele seiner Andeutungen und Behauptungen im Verlaufe seines Buches zurücknimmt.


Zum Schluss greift er ungeniert Israel an, weil es Wagner als „Synonym für die Shoah“ betrachte. Das israelische Wagneraufführungsverbot bezeichnet er als „Wonne der Ignoranz“, der „israelische Fall Wagner“ ist für ihn „ein peinliches Zeugnis der Degeneration des Shoah-Gedenkens“. Zuckermanns Resümee „Wenn überhaupt, manifestiert sich heutzutage Wagner als Ärgernis in Deutschland einzig noch in alljährlichen Bayreuther Inszenierungsskandalen“. Auch wenn da von „ewig“ schon nicht mehr die Rede ist, handelt es sich um ein Pauschalurteil, das zu kurz greift. Schon der Titel des Buches ist daher irreführend und legt eine falsche Fährte. Ein gedanklich verworrenes, polemisches, Vorurteile repetierendes, ja überflüssiges, aber eben dadurch symptomatisches Buch.  Dessen Methode gleicht derjenigen, die Hubert Kolland einmal mit Blick auf die Beschwörer der Ahnherrentheorie der Dreißiger- und Vierzigerjahre als "Suggestion mit Hilfe von manipulativer Vagheit" bezeichnete.     

 

Beitrag auch in „Oper & Tanz“