Zum 50. Todestag Arturo Toscaninis

Dieter David Scholz

 

 

Zum 50. Todestag des Jahrhundertdirigenten Arturo Toscanini

Beitrag für SWR 2 - 2007

 

Vor 50 Jahren, am 16. Januar 1957 starb in New York der Dirigent Arturo Toscanini. Er wurde noch zu Verdis und Wagners Lebzeiten geboren, und er hat noch die Zündung der ersten Wasserstoff-Bombe 1952 und den Tod Stalins 1953 miterlebt. In der Alten wie der Neuen Welt galt er schon zu Lebzeiten als bedeutendster Dirigent des Jahrhunderts.

 

 

Er hatte Giuseppe Verdi persönlich noch kennengelernt, denn er wohnte der Uraufführung von Verdis Otello bei, am 1887 in der Mailänder Scala. Toscanini war damals zwanzig Jahre alt. Sechzig Jahre später hat er die Oper in New York noch einmal mustergültig für die Schallplatte eingespielt, mit dem Tenor Ramón Vinay in der Titelpartie. Toscanini war damals bereits ein alter Herr von achtzig Jahren. Aber als Musiker war er noch immer ein jugendlicher Feuerkopf gewesen, unerbittlich streng in der Beachtung musikalischer Genauigkeit, von hörbar partituranalytischem Scharfsinn geprägt, ein Tyrann am Pult, energiegeladen wie ein Vulkan, explosiv in seinem cholerischen Temperament, und doch mit großem Sinn für die Poesie der Musik.

 

 

Geboren wurde Arturo Toscanini in der Emiglia-Romagna, im oberitalienischen Parma, der Hauptstadt des Schinkens und des Parmesan-Käses. Er war der Sohn eines Schneiders, der während des Risorgimento unter Garibaldi gekämpft hatte. Zur Erinnerung: In Arturo Toscaninis Geburtsjahr brachte Giuseppe Verdi seinen Don Carlos heraus und Richard Wagner bereitete dort seine Meistersinger-Premiere vor.

 

Schon im Alter von neun Jahren begann er am Konservatorium seiner Heimatstadt seine musikalische Ausbildung in den Fächern Cello, Klavier und Komposition. Mit Neunzehn verließ er das Konservatorium mit Auszeichnung. Und dann ging alles ganz schnell. Er verdingte sich als Cellist bei einer Südamerika-Tournee einer italienischen Opern-truppe. Der Dirigent wird krank. Toscanini springt ein und dirigiert auswendig, was später zu seinem Markenzeichen wird, er dirigiert Verdis Aida. Für den Rest der Tournee wird er als Dirigent verpflichtet.

 

Der Erfolg, den der junge Toscanini mit seinem Aida-Dirigat hatte, veranlasste den Impresario der Operntruppe, ihm gleich auch noch das Dirigat von Traviata, Rigoletto, La Gioconda, La Favorita, Die Hugenotten, Faust und einige anderen Opern anzuvertrauen. Toscanini machte sich in Windeseile einen Namen als herausragender Nachwuchs-dirigent und dirigierte an den verschiedensten Operhäusern Italiens, bevor er 1898 zum künstlerischen Leiter der Mailänder Scala berufen wurde. Da hatte er bereits Leoncavallos Bajazzo und Puccinis La Bohème uraufgeführt. Den Scala-Chefposten bekleidete er in der Zeit bis 1929 dreimal und insgesamt 17 Jahre lang. Zwischendurch leitete er – von 1908 bis 1915 - die New Yorker Metropolitan Opera. Dort brachte er unter anderem Puccinis Mädchen aus dem goldenen Westen zu Uraufführung. Toscanini war einer der ersten Dirigenten, die zwischen Europa und Amerika hin- und herpendelten. 1928 wurde Toscanini, der Met- wie Scalaerfahrene Weltbürger, zum Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker berufen. Er blieb deren Chef bis 1936.

 

Im Jahre 1929 dirigierte Toscanini zum ersten Mal am Grünen Hügel in Bayreuth. Toscanini liebte nicht nur Verdi, er bewunderte auch Wagner. Und dirigierte – es war für ihn Ehrensache – in Bayreuth selbstverständlich ohne jede Gage. Seine Tannhäuser- und Tristan-Dirigate 1931 wurden zum musikalischen Höhepunkt der Bayreuther Festspielgeschichte im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Siegfried Wagner hatte ihn kurz vor seinem Tod noch eingeladen, allen Konservativen und Nationalisten zum Trotz. Als Siegfrieds Witwe Winifred mit Hitler paktierte, der 1933 an die Macht gekommen war, weigerte sich Toscanini, jemals wieder den Fuß auf die Bretter der Bayreuther Bühnen zu setzen. Sein Abschied von Bayreuth war verbittert. An Winifred schrieb er:

 

„Ich verlasse Bayreuth, angewidert und erbittert. Ich kam dorthin mit dem Gefühl, mich einem wahren Heiligtum zu nähern und ich verließ ein banales Theater.“

 

Der Dirigent Arturo Toscanini war nicht nur musikalisch, sondern auch in seiner moralischen und politischen Integrität unbestechlich und geradlinig, ja konsequent wie nur wenige einer Zunft. Aus Protest gegen die Juden-vernichtung der Nazis weigerte er sich, nach dem Machtantritt Hitlers in Deutschland jemals wieder aufzutreten, was ihn nicht daran hinderte, zeitlebens und in aller Welt, sei es in New York oder in Südamerika, in Italien wie bei den Salzburger Festspielen, die Musik Wagners aufzuführen, jenseits aller falschen weihrauchschwangeren Teutomanie. Toscanini war einer der besten – und der genauesten – Wagnerdirigenten des Jahrhunderts.

 

 

Der Wagner- wie Verdibegeisterte, ganz und gar unparteiische und politisch in keine Richtung zu vereinnahmende Arturo Toscanini kehrte nicht nur dem faschistischen Deutschland, sondern auch dem faschistischen Italien – nach zum Teil heftigen politischen Angriffen gegen ihn- den Rücken und verlagerte seinen Wirkungsbereich ganz nach Amerika, in die USA.

 

1937 gründete die National Broadcasting Corporation (kurz NBC) eigens für Toscanini aus den besten Musikern New Yorks das NBC-Symphony Orchestra, das Toscanini 17 Jahre lang leitete. In dieser Zeit dirigierte er einmal wöchentlich ein Rundfunkkonzert, Viele davon wurden in alle Welt übertragen. Der Antifaschist ließ es sich nicht nehmen, noch 1942, am Vorabend des 59. Todestages Richard Wagners eine Tannhäuser-Aufführung live aus der Metropolitan Opera gen Europa und Deutschland im Radio übertragen zu lassen. Friedelind Wagner, die Tochter Siegfrieds, ebenfalls Antifaschistin und in die USA emigriert, hielt dabei eine unmissverständliche Rundfunk-ansprache an die Deutschen, darin sagte sie, und das dürfte durchaus im Sinne Toscaninis gewesen sein:

 

„Mein Großvater ist tot und kann den Missbrauch nicht wehren. Und Hitler, dieser Gotteslästerer, lästert Wagner, indem er ihn zu seinem Liebling macht. „

 

Arturo Toscanini war nicht nur eine beispiellose moralische Institution, auch eine musikalische. Seine genaueste Partiturkenntnis, seine kompromisslose Exaktheit der Umsetzung, auch seine gründliche Arbeit mit Musikern wie Sängern setzte Maßstäbe. Schon zu Lebzeiten galt er als größter Dirigent des Jahrhunderts. Er hat zahllose nicht nur italienische Opern, auch sinfonische Werke des 20. Jahrhunderts uraufgeführt. Er war ein Präzisionsfanatiker und ein Klangmagie am Pult. Er wurde gefürchtet wegen seiner Tobsuchtsanfälle bei den Proben und wurde geliebt wegen seiner musikalischen Magie. Er war nicht nur vielseitig, was sein Repertoire anging, er war auch enorm fleißig. Toscanini brachte allein in den 17 Jahren mit dem NBC Symphony Orchestra 117 Opern und 480 Orchesterwerke zur Aufführung.

 

1954 zog er sich vom Podium zurück, er starb drei Jahre später im Alter von 90 Jahren in New York, am 16. Januar 1957, also vor 50 Jahren. Sein Leichnam wurde nach Italien überführt. Mehr als 40.000 Menschen erwiesen seinem Sarg im Foyer der Mailänder Scala die letzte Ehre. Bis heute genießen seine vielen Schallplattenaufnahmen nicht nur Referenz- sondern geradezu Kultstatus, und es tauchen aus Anlas seines Todestages immer neue auf.