Udo Bermbach: Die politisch Unsensiblen von Bayreuth

Dieter David Scholz

 

 

Die politisch Unsensiblen von Bayreuth

 

 

Von Udo Bermbach

 

 

Bayreuth war immer schon politisch, die Bayreuther Festspiele auch. Dass der Dichter erst wieder dichten könne, wenn es keine Politik mehr gebe, diesen Satz hat Wagner seiner politisch-ästhetischen Utopie zwar vorangestellt, ohne sich selbst allerdings daran zu halten. Aus welchen praktischen Zwängen auch immer, als 1876 die ersten Festspiele eröffnet wurden, waren die adligen und bürgerlichen Eliten des Kaiser-reiches da und es gab jenen politischen Gala-Lauf, der bis heute das Eröffnungsritual der Festspiele prägt. Anfangs politisch konservativ, rückten die Festspiele im Laufe der Jahre immer mehr nach rechts, zunächst ins völkisch-nationalistische Lager, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dann schnell und eindeutig ins national-sozialistische. Man sehe dort nur noch „Rechtser-Deutsche“, schrieb der liberale Journalist Bernhard Diebold von der Frankfurter Zeitung nach seinem Besuch der Festspiele 1928 und beklagte das Fehlen der Liberalen und demokratischen Linken. Sein Aufruf, die Festspiele nicht den Rechtsradikalen zu überlassen, fruchtete freilich nicht. Schon lange vor 1933 waren diese auf jene Linie eingeschwenkt, die ab 1933 Hitler vorgab, jener „große Kanzler“, den der Herausgeber des offiziellen Bay-reuther Festspielführers von 1933 in einer „Schicksalsgemeinschaft“ mit dem „Meister“ sah.

 

Die tiefbraune Vergangenheit Bayreuths und der Festspiele sind bekannt, sie brau-chen hier nicht noch einmal heraufbeschworen zu werden. Wir kennen diese Geschichte, wir wissen auch, wie schwer sich die Festspiele und Teile der Familie Wagner nach 1945 bzw. 1951 taten, offen und selbstkritisch die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Umso mehr Hoffnung war, als Katharina Wagner 2008 erklärte, sie wolle die Privatarchive öffnen und für die Forschung freigeben.

 

Doch die Hoffnung trug. Den Nachlass ihres Vaters übergab sie exklusiv an Wolfram Pyta, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart, und den Journa-listen Siebenmorgen zur alleinigen Nutzung. Pyta, ein angesehener Historiker, der u.a. ein Buch über Hindenburg geschrieben hat und sich gelegentlich mit dem deutschen Fußball befasst, war bis dahin – und ist es auch heute noch – in der Wagnerforschung vollkommen unbekannt. Und ähnliches lässt sich über Siebenmorgen sagen. Was beide qualifizieren soll, die Geschichte der Festspiele aufzuarbeiten, bleibt angesichts einer Vielzahl thematisch qua-lifizierter Wissenschaftler das Geheimnis der Katharina Wagner. Wer hoffte, dass beide Beauftragte bald schon Ergebnisse vorlegen würden, sah sich getäuscht. Und sicher ist, dass auch bis 2013, also 5 Jahre nach der Ankün-digung, nichts zu erwarten ist, ob später, darf bezweifelt werden. Fest steht jedenfalls, dass die ausschließliche Nutzung von privaten Archivalien durch „Historiker ihres Vertrauens“ (Katharina Wagner) nicht entfernt jener Öffnung für „die Wissenschaft“ gleichkommt, die 2008 vollmundig und offensichtlich fachlich unbedarft und schlecht beraten verkündet wurde. Es ist einer jener gravierenden Fehler, die die neue Festspiel-leitung gleich anfangs begangen hat: denn Öffnung der Archive heißt, den Zugang allen interessierten Wissenschaftlern zu garantieren, es heißt nicht, das Material einer bestimmten Person zu geben, wo es verschwindet. Ob dies eine Strategie der Verzögerung ist, wie manche meinen, kann hier nicht entschieden werden. Dass es ein kardinaler Fehler ist, so zu verfahren, steht allerdings außer Frage.

 

In diesen Kontext passt, höflich formuliert, die auffallende Zurückhaltung der Festspielleitung, politisch symbolhafte Zeichen demokratischer Offenheit zu setzen. Als die in Bayreuth ab 23. Juli gezeigte Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in einem wissenschaftlichen Symposion vorweg, vom 12. bis 14. Juli, ausführlich debattiert wurde, ließ sich weder beim Eröffnungsvortrag noch an den beiden folgenden Tagen jemand von der Festspielleitung sehen. Offensichtlich hielt man, wie schon in der Vergangenheit öfter, die wissenschaftlichen Debatten für entbehrlich und glaubte, die Kunst von der Politik trennen zu können. Ein Irrtum ums Ganze, den schon Wagner mit seinem Satz, das „absolute Kunstwerk ist ein voll-ständiges Unding“ (1851) für sich selbst unzweifelhaft entschieden hat. Mit aller Deutlichkeit muss man sagen: angesichts der politisch belasteten Festspielgeschichte, angesichts der neu zutage geförderten Fakten antijüdischer Gesinnung Cosimas und ihrer engsten Vertrauten bei der Auswahl von Künstlern für die Festspiele, angesichts auch des schnellen definitiven Ausschlusses jüdischer Künstler von diesen Festspielen nach 1933 wäre es nur billig gewesen, wenn sich die Festspielleitung persönlich zur Eröffnung einge-funden hätte. Es wäre ein Geste der Distanzierung von einer unseligen Vergangenheit gewesen, ein selbstver-ständliches Bekenntnis zu den rassistisch Verfolgten, auch ein Bekenntnis zu demokratischen Inhalten und Umgangsformen – aber es scheint, dass solche Selbstverständlichkeiten, die öffentlich in Deutschland wie im Ausland genau registriert werden, an der Festspielleitung völlig vorbeigehen.

 

Das zeigte sich auch bei der Eröffnung der Ausstellung am 23. Juli. Avi Primor, ehemals Botschafter Israels und einer der großen Versöhner zwischen Deutschen und Juden, ein tief von humaner Gesinnung durchdrungener Mann, hielt seinen Eröffnungsvortrag – in Abwesenheit der Festspielleitung. Die angekündigte Eva Wagner-Pasquier kam nicht, ließ dafür einen belanglosen Zettel verlesen. Man kann das, angesichts des sensiblen Verhältnisses von Deutschen und Juden, nur als Affront verstehen, und Primor hat es auch so verstanden. In einer Sendung von „Kulturzeit“ in 3sat vom 25. Juli 2012 beklagte er bitter, dass die beiden Leiterinnen der Festspiele seine Bitte um ein Gespräch mit dem Hinweis auf Zeitmangel abgewiesen hätten. Eine unglaubliche politische Torheit, ein beschämendes Verhalten, das seinen Schatten auf die Festspiele insgesamt wirft. Denn es war eben Avi Primor, der 1998 jenen bahnbre-chenden Kongress über „Richard Wagner und die Juden“ in Bayreuth, mit anderen zusammen, ermöglichte, bei dem erstmals seit Ende des Krieges israelische Historiker, Soziologen, Musikwissenschaftler nach Bayreuth kamen, um mit deutschen Kollegen über Wagners Antisemitismus und dessen Folgen zu debattieren, ja sogar sich nachmittags den damals laufenden Ring von Kirchner/rosalie anzusehen. Damals war Wolfgang Wagner, der zu Unrecht oft Geschmähte, nicht nur helfender Wegbereiter der Konferenz, sondern auch präsenter Begleiter der israelischen Kollegen, liebens-würdiger Gastgeber für Primor und die anderen. Schon damals fehlte Katharina Wagner, die mit 20 Jahren in einem Alter war, wo es ihr nicht geschadet hätte, einige der Vorträge zu hören.

 

Diese immer wieder demonstrativ gezeigte, scheinbar apolitische Haltung der Festspiel-leitung ist freilich selbst eine durch und durch politische. Das zeigt sich auch im Festspielbetrieb selbst, für den die Leitung ihre eigene Verantwortung reklamiert. Ein Beispiel: dass in der Tannhäuser-Inszenierung von Sebastian Baumgarten am Ende Elisabeth in einen Bio-Gas-Behälter zur ‚Entsorgung‘ geht und beim Versuch, noch einmal in Freiheit zurückzukommen, brutal ins Gas zurückgestoßen wird, dass sie also, um es ungeschönt zu sagen, „vergast“ wird, ist eine Ungeheuerlichkeit, die selbst einem historisch nur mäßig aufgeklärten Besucher die Sprache verschlägt. Wie immer das Regie-Team diesen Vorgang gemeint haben mag – eine Vergasung auf der Bayreuther Bühne ist so ziemlich eines der schlimmsten Vergehen, dessen man sich schuldig machen kann. Die Assoziation zu Auschwitz ist greifbar, und wer sie nicht hat, verdrängt oder ist geschichtsresistent. Dass ein Regisseur einen solchen ‚Einfall‘ umsetzt, ist schlimm genug; dass die Festspielleitung dies durchgehen lässt und, allen Protesten des Premierenjahres zum Trotz, nicht grundlegend korrigiert, was nur heißen kann: verbietet, ist ein politischer Skandal. Allein diese Szene disqualifiziert diese Festspielleitung, weil zum Führen der wichtigsten deutschen Festspiele nicht nur ästhetische, sondern gerade auch politische Sensibilität gehört, die sich der eigenen fatalen Vergangenheit stets bewusst ist.

 

In diese Reihe der politischen Ausfälle gehört auch die Entscheidung, kurz vor Eröffnung der Premiere von 2012 Evgenyi Nikitin die Rolle des Holländer zu entziehen. Ohne die Debatte darüber neu zu eröffnen: Es wäre sinnvoll gewesen, dem aus dem russischen Underground kommenden Sänger ein klares Bekenntnis zur Demokratie und gegen alle Nazi-Ideologie abzuverlangen, ihn dann aber singen zu lassen. Wenn dies aber unmöglich erschien, wieso beruft man dann Jonathan Meese, vertraut ihm Regie und Bühnenbild der Parsifal-Produktion 2016 an, einem Künstler, der meint: „Ideologie ist immer scheiße in der Kunst, in rechts und links zu denken ist scheiße! Religiös zu sein ist scheiße! Parteien zu wählen ist scheiße! Selbstverwirkli-chungsfanatismus ist scheiße! Konsens ist scheiße! Demokratie ist scheiße!“ Das ist eine erschreckend deutliche, klare politische Sprache, die ideologisch alles erwarten lässt, was jenseits einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft liegt. Ob der Hitlergruß, den Meese öfter zeigt und stolz ins Internet stellt, ob seine in der von Nazis bevorzugten Frakturschrift aufgemachten, von Eisernen Kreuzen geschmückten Bilder seiner homepage, die aussehen, als stammten sie aus dem Dritten Reich, weniger provokativ sind als die Runensymbole Niktins, darf bezweifelt werden. Es muss deutlich gesagt werden, dass Künstler nicht generell politische Narrenfreiheit beanspruchen können: auch wenn Kunst provokativ sein muss, wenn sie Grenzen sprengen und neue, utopische Möglichkeiten in den Blick nehmen soll – wer fundamentale Grundrechte, wer Demokratie und sie tragende Parteien „scheiße“ findet, hat auf dem Hügel nichts zu suchen. Dazu verpflichtet schon dessen unsägliche politische Geschichte.

 

Ein letztes: vor einiger Zeit ist das Wohnhaus von Jean Paul, einem der großen Bayreuther, frei geworden. Bisher hat die Jean-Paul-Gesellschaft in den Räumen des Hauses von Houston Stewart Chamberlain ihren Sitz. Nunmehr gibt es die Option, das Jean-Paul-Museum an einen authentischen Ort zu verlagern, in ein Haus, in dem der Dichter wirklich gelebt hat. Damit aber würde das Wohnhaus Chamberlains wieder frei und es ließe sich denken, es in den geplanten Museumskomplex um Wahnfried einzubeziehen. Denn hier könnte nicht nur eine Dokumentation über den wichtigsten Popularisator des Bayreuther Gedankens erstellt werden, der bis 1945 als „der“ Wagner-Interpret schlechthin galt und von den Nazis zu einem ihrer Vordenker gezählt wurde, sondern auch eine Geschichte der Festspiele, von Anfang an bis heute, eine Geschichte Bayreuths und seiner Festspiele im Kontext der deutschen Geschichte. Das wäre eine auch politisch enorm wichtige Ergänzung zur geplanten Wiederherstellung von Wahnfried und dem neuen Museumsbau, eine längst fällig Aufarbeitung der Festspiel-Vergangenheit in einer Form, die den in- und ausländischen Besuchern einen zentralen Teil der deutschen Geschichte vermitteln würde. Gewiss gehört es nicht zu den unmit-telbaren Aufgaben der Festspielleitung, sich an der Planung eines solchen Projektes zu beteiligen; aber Stellung beziehen zu einer Diskussion, die inzwischen öffentlich geführt wird, könnte sie schon. Und zwar im Sinne der Öffnung und Aufklärung.

 

„Wir hoffen immer, und stets ist Hoffen besser als Verzweifeln“, schrieb Oscar Wilde einstens. Hoffen wir also, dass wir über das, was zukünftig in Bayreuth geschehen wird, am Ende nicht verzweifeln müssen.

 

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Dieser mir für meine Homepage überlassene Kommentar wurde abgedruckt in leicht veränderter Form in der Zeitschrift "Opernwelt", Ausgabe September/Oktober 2012 unter dem Titel: "Hier gilt´s der Kunst? Die Bayreuther Festspielleitung zeigt sich in vielfacher Hinsicht politisch unsensibel".

 

 

 

Udo Bermbach war von 1971 bis 2001 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg, ist Autor wegweisender Wagnerpublikationen, langjähriger Beobachter der Bayreuther Festspiele und Gründer und Mitherausgeber der Wagner-Zeitschrift >wagnerspectrum<. - Mehr unter www.bermbach.de