CD Wagners "Parsifal" Leitner Mödl

Dieter David Scholz

 

 

Drogencocktail der Extraklasse

 

 

Wie die Bayreuther Festspiele beweisen, kann man geradezu süchtig werden nach Richard Wagner. Auch in diesem Jahr wieder strömen Menschen aus aller Welt nach Bayreuth, um sich der Droge Wagner hinzugeben. Auch die Plattenindustrie hat sich auf die Wagnerianer eingestellt und wartet mit Neuveröffentlichungen auf, unter denen eine historische Aufnahme des Parsifal herausragt.

 

Richard Wagner: Parsifal

Wolfgang Windgassen, Martha Mödl

Chor der Württembergischen Staatsoper

Orchestre de l´Opéra de Paris, Ferdinand Leitner

,AD 26.3.1954, Hänssler Profil 4 CDs, PH09009

 

 

Das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ enthält seit je die stärksten Opiate Wagners. Ein besonderer Drogencocktail, um in diesem Bild zu bleiben, ist eine Aufführung der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, die jetzt beim Label Hänssler erschienen ist. Es handelt sich um ein Parsifal-Gastspiel in Paris aus dem Jahre 1945 mit dem Chor der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, mit Solisten und mit dem langjährigen Generalmusikdirektor des Hauses, Ferdinand Leitner, der das renommierte Orchester der Pariser Oper dirigierte. Eine mutige Zusammenarbeit und neun Jahre vor Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle ein bedeutendes kulturpolitisches Ereignis. Aber auch künstlerisch war dieses deutsche Gastspiel in Paris eine Höchstleistung. Der jetzt erstmals veröffentlichte Livemitschnitt vom 26. März 1954 dokumentiert sie.

 

Was diesen Parsifal auszeichnet, ist neben der souveränen dirigentisch-orchestralen Leistung eine hochkarätige Sängerbesetzung, von der man heute nur träumen kann. Damals war sie selbstverständlich an der Württembergischen Staatsoper in Stuttgart. Eine der Säulen ihres Ensembles war der heute zu Unrecht vergessene Bassist Otto von Rohr. Er singt in diesem Livemitschnitt den alten Gralsritter Gurnemanz mit großem menschlichem Ausdrucksformat. Er artikuliert klar und deutlich, ist höhensicheren und verfügt doch über einen schwarzen Bass. Daß Stuttgart damals - also in den 50er und 60er Jahren – als das "Winter-Bayreuth" galt, versteht man, wenn man heute eine Aufnahme wie diese hört, in der auch die Stars der Neubayreuther Ära sangen: im Mittelpunkt die einzigartige, glutvolle, berührende Martha Mödl als Kundry, sie war damals auf dem Höhepunkt ihrer Weltkarriere, und der nicht minder einzigartige, weil so gar nicht heldische, eher schlanke, aber immer absolut wortverständliche Wolfgang Windgassen als Parsifal.

 

 

Nicht nur Parsifal und Kundry, die von Martha Mödl und Wolfgang Windgassen unüberbietbar interpretiert wurden, auch alle übrigen Partien dieses ersten deutschen Wagnergastspiels in Paris nach dem zweiten Weltkrieg sind erstklassig besetzt: Gustav Neidlinger, der Bayreuther Alberich vom Dienst, singt den leidenden Gralskönig Amfortas, Frithjof Sentpaul dessen Vater Titurel, Heinz Cramer singt den Magier Klingsor, und selbst die Sänger der kleineren Partien sind vorzüglich. Ferdinand Leitner am Pult der Pariser Oper gelang eine eindrucksvolle, außerordentlich expressive wie subtile Interpretation, deren besonderer Reiz nicht zuletzt dem französischen Orchesterklang zu verdanken ist. Dieser Parsifal ist ein historisches Tondokument von Ausnahmerang und erinnert an die besten Zeiten des Wagnergesangs.

 

 

CD-Tip in MDR Figaro am 29.07.2009