Cecilia Bartoli: Sacrificium

Dieter David Scholz

 

 

Hommage an die Kastraten

 

 

Die römische Kult-Mezzosopranistin Cecilia Bartoli hat wieder einmal eine neue CD herausgebracht, eine Hommage an die Ära der Kastraten. Dazu hat sie in den Archiven gestöbert, in Neapel, der Hochburg des Kastratengesangs, aber auch in Berlin und in Wien. Mit dem Ensemble Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini ist die neue CD eingespielt worden: Ausschließlich Kastratenarien des 18. Jahrhunderts, darunter etliche Weltersteinspielungen.

 

Sacrificium. Cecilia Bartoli, Il Giardino Armonico.

Decca 2009. Bestellnummer: 7550252

 

Nicola Porpora war der berühmteste Gesangslehrer im Neapel des 18. Jahrhunderts. Er bildete eine Generation von jungen Kastraten aus und komponierte die passende Musik für ihre umjubelten Auftritte. Cecilia Bartoli, die Porporas Arien singt, tritt auf ihrer neusten CD beherzt in ihre Fußstapfen.

 

"Dieses Barockmusik-Projekt ist das Schwierig­ste, das ich je gesungen habe, denn Kastraten hatten Stimmen, die klangen, wie von Frauen, aber sie hatten einen männlichen Körper. Das zustande zu bringen ist sehr schwer, diesen langen Atem, über den die Kastraten verfügten, und diese extremen Koloraturen."

 

Atemberaubende Koloraturen nicht nur in Opernarien von Francesco Araia und Nicola Porpora, sondern auch von Carl Heinrich Graun, von Leonardo Leo, Antonio Caldara und Leonardo Vinci führt Cecilia Bartoli auf ihrer neusten CD vor, zum größten Teil bisher nie eingespielte Musik. Und die Bartoli demonstriert wieder einmal, mit welchem Furor sie sich in diese hoch­virtuose Kastratenmusik hineinzuwerfen und wie sie sich diese anzuverwandeln versteht. Sie zieht alle Register ihrer sängerischen Ausdruckmittel und scheut auch nicht davor zurück, grenzwertige technische Tricks einzusetzen, das von ihr hinlänglich bekannte, attackierende Fauchen und Hauchen, Gurgeln und Anschleifen der oft recht gaumigen und flackernden Töne. Wahrscheinlich haben so die echten Kastraten nie geklungen, glaubt man den Berichten der Chronisten und Ohrenzeugen des 18. Jahr­hun­derts. Und doch: Faszinierend, leidenschaftlich und hochvirtuos ist Cecilia Bartolis Engagement für den Kastratengesang allemal.

 

Cecilia Bartoli beweist mit ihrer neusten – sehr klug zusammengestellten und vermarkteten - CD, die von einer Deutschlandtournee begleitet wird, wieder einmal, was für eine gewievte wie charmante sängerische Rattenfängerin sie ist. Nach Elisabeth Schwarzkopf ist die Bartoli ohne Frage die größte sängerische Manieristin und Selbstdarstellerin. Ihr Auftritt vor wenigen Tagen in Berlin (in leider wenig schmeichelhafter Operetten-Kostümierung als "Prinz Orlowski" anstatt in prachtvollem Kastratenkostüm) - in einer ausverkauften Philharmonie glich einem frenetisch umjubelten Popkonzert. Sie kam, sah und siegte. Aber auch für ihre CD gilt: Jede Note ist quasi befreiter Naturlaut, ist Schmerz und Freude, Furor und Lamento, jede Phrase singt sie so emotional anspringend, dass sich der Zuhörer persönlich angesprochen fühlt. Die Bartoli verhilft dem hochartifiziellen Kastratengesang des 18. Jahrhunderts zu neuer Popularität.

 

Mit ihrer neusten CD bricht Cecilia Bartoli eine Lanze für die musikalischen Opfer der „Verschnittenen“. Der Titel 'Sacrificium' bezieht sich denn auch auf das Opfer, das Tausende von Kindern im Namen der Kunst bringen mussten. In Italien wurden um die Mitte des 18. Jahrhunderts jedes Jahr 4.000 Jungen kastriert. Viele starben an den Folgen der oft von Kurpfuschern durchgeführten Kastration oder endeten als Prostituierte am Rande der Gesellschaft, bestenfalls in Kirchenchören. Aus den Wenigsten wurden erfolgreiche Sängerstars wie Farinelli oder Carestini, denen Könige zu Füßen lagen und für die die größten Komponisten Musik schrieben. Das umfangreiche Book­let der CD informiert darüber sehr ausführlich und eine beigefügte Bonus-CD enthält die einzige wirklich auf Tonträger festge-haltene Stimme des letzten Kastraten vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Schon deshalb ist das Album „Sacrificium“ nicht nur für alle Bartoli-Fans, sondern auch für alle am Phänomen des Kastratengesang Interessierten ein unbedingtes „Muss“!

 

 

MDR Figaro