Heinz Schirmag: Albert Lortzing

Dieter David Scholz

 

 

Glanz und Elend eines Künsterlebens

 

Heinz Schirmag: Albert Lortzing

Henschel-Verlag 1995, 413 S., DM 64,-

 

Albert Lortzings Komische Opern, zumindest der in der Gunst des Publikums obenan stehende "Zar und Zimmermann", gehören seit mehr als hundert Jahren zu den einträg-lichen Konstanten der Opernspielpläne. Der Komponist des "Zar und Zimmermann", des "Waffenschmieds", der "Undine" oder des "Wildschütz", um nur die populärsten seiner etwa zwanzig Opern zu nennen, er wurde seit je als künstlerisches Indivuduum und Zeitgenosse Heinrich Heines oder des jungen Richard Wagner ignoriert.

 

Zugegeben: seine chaotische, bürgerlichem Denken zuwiderlaufende Vita und sein sehr zeitverhaftetes, aufs Publikum seiner Zeit zugeschnittenes, satirisch-humoris-tisches Werk sperrte sich gegen jegliche Vereinnahmung romantischen Künstlerkults. Und der herrschte vor in der Musikwissenschaft bis in unser Jahrhundert. Im übrigen haben es Komiker nun mal schwer in Deutschland! Noch der Fall Karl Valentin hat das gezeigt. Auch er verhungerte sprichwörtlich, wie schon100 Jahre früher sein Kollege Albert Lortzing. Seit fast einem halben Jahrhundert ist keine Lortzing-Biographie mehr geschrieben worden. Man tat sich von je schwer mit Albert Lortzing und schlug in bemerkenswerter Beharrlichkeit einen Bogen um den 1775 in Berlin geborenen, 1854 ebendort gestorbenen Tonsetzer. Er paßte nicht recht ins Raster opernge-schichtlich respektabler und repräsentativer Komponistengestalten, fügte sich nicht ins musikhistorische Rasterdenken. Man vermißte Tiefgang in seinem Œuvre! Ein undankbarer Fall für die deutsche Musikwissenschaft! Deren großer Bogen von Bach über Mozart schnurstracks über Weber und Wagner zu Richard Strauss und den Neueren geschlagen wird. Sicher: da wurden manche entlegenen Rand- wie Zonen-gestalten integriert inzwischen. Nicht jedoch Albert Lortzing. 1947 erschien die letzte Monographie zu seinem Leben und Werk, es war die Neuauflage eines bereits 1914 geschriebenen Buches! Schon deshalb ist jede Neuerscheinung zum Thema Lortzing begrüßenswert! Doch die Lektüre der umfangreichen Fleißarbeit von Heinz Schirmag macht exemplarisch deutlich: Aufarbeitung eines Wissensdefizits ist eben keine Sache bloßer Faktenanhäufung und trockener Zettelkastenausschüttung!

 

Zwar erzählt Schirmag das abenteurliche Wanderleben des Schauspielers, Sängers, Komponisten und Dirigenten Lortzing im Spannungsfeld Berlin, Aachen, Köln, Detmold, Leipzig und Wien in aller Ausführlichkeit. Schirmag beschreibt die Entstehungsgeschichten seiner vielen Werke, er berichtet von den alltäglichen Nöten und Konflikten Lortzings, seinem chronischen Geldmangel, der katastrophalen Zahlungsmoral der damaligen Theaterimpresarii und von der harten Zensur, die den Anfang gemacht hat bei der bis heute vorherrschenden Lotzing-Verharmlosung. Alles recht gelehrt und hochin-teressant! Doch der umständliche Stil dieser Lortzing-Monographie bedient sich derart veralteter und abgenutzter Sprachklischees romantischer Künstlerbiographik, daß die Lektüre des Buches rein sprachlich streckenweise unerträglich ist. Schade, wo es dem Autor doch darum geht, eine Lanze für Lortzing zu brechen und ein sachliches Interesse an ihm und seinem Werk zu fördern.

 

Wer sich also für Lortzing interessiert, wird sich durch diesen in platitüdengespicktem Kanzleistil abgefaßten Lortzing-Schinken hindurcharbeiten müssen, um zumindest die Fakten zu erfahren. Die sprechen allerdings für sich! Albert Lortzing war - Schirmag betont es - mehr als nur die Verkörperung musikdramatischen Biedermeiers! Sein breites, heute größtenteils vergessenes Œuvre hat einen Gutteil des gesellschaftlichen Umbruchs zwischen den Napoleonischen Befreiungskriegen und der 48er-Revolution gespiegelt, im Medium der komischen Oper, die sich gleichermaßen auf Grétry wie auf Mozart berief.

 

Lortzing als politischer Vormärz-Komponist: das wäre das Thema einer noch zu schreibenden, kritischen Lortzing-Biographie jenseits beweih-räuchernder Demuts-haltung. In der sollte dann aber auch die Musik und die Drama-turgie seiner Bühnenwerke berücksichtigt und thematisiert, und nicht, wie bei Schirmag, großzügig ausgeklammert werden!

 

 

Rezension für WDR "Musikszene West"/ SDR/ NDR "Musikforum"