Nachruf Horst Stein

Dieter David Scholz

 

 

Präzision statt Show

Nachruf auf Horst Stein am 29.07.2008

 

 

Horst Stein, der unvergessene Bayreuther Festspieldirigent und langjährige Chefdirigent der Bamberger Symphoniker ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 80 Jahren in seinem Haus in Vandoeuvres im Kanton Genf.

 

Horst Stein war kein großer, telegener, charismatischer Maestro mit eleganter Zeichensprache, Glamour und Maestroattitüde. Er war eher klein und gedrungen und er hatte einen Charakterkopf. Aber er überzeugte als Musiker! Wenn er am Pult saß, war ein reibungsloser Ablauf auch der kompliziertesten Partitur garantiert. Stein zählte zu den handwerklich perfektesten, künstlerisch bedeutendsten und auch gefragtesten Dirigenten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde Horst Walter Stein am 2. Mai 1928 in Wuppertal Elberfeld als Sohn eines Mechanikers. Er besuchte das Musische Gymnasium in Frankfurt am Main, ein Internat mitsamt Chor und Orchester, in dem er Klavier spielen lernte, aber auch Oboe, Schlagzeug und Gesang. Ein Glücksfall für ihn.

 

 

"Wir haben bis uns bis zu den letzten Monaten des Krieges dort betätigen dürfen, Wir wurden nicht Soldat. Wer sich da nicht freiwillig gemeldet hat und nicht mitmachen wollte, der blieb sozusagen frei. Wir waren zuletzt in der Nähe von Ulm in einem riesigen Kloster untergebracht und haben da bis vier Wochen nach Ende des Krieges überlebt."

 

 

Nach dem Krieg studierte Horst Stein an der Kölner Musikhochschule bei Günter Wand Dirigieren und bei Philipp Jarnach Komposition. Seine musikalische Karriere begann 1947 als Korrepetitor an den Städtischen Bühnen Wuppertal, wo er bis 1951 blieb. Dort lernte er sein Handwerk von der Pike auf. Günter Rennert verpflichtete ihn an die Hambur-gische Staatsoper, wo er korrepitierte, aber schnell auch dirigierte. Schon ein Jahr später assistierte e bei Joseph Keilberth, Hans Knappertsbusch, Clemens Krauss und Herbert von Karajan in Bayreuth.

 

"Ich habe mit vielen Sängern gearbeitet, ich habe die ganzen Ensembleproben gespielt, wie die anderen auch. Ja, ich war Assistent bei Knappertsbusch, und ich hab bei ihm wenigstens die Glocken geschmissen. Ich habe in Bayreuth einfach gearbeitet und gelernt. Besonders wichtig war für mich, mit der Martha Mödl zu arbeiten. Die hat dann auch in Hamburg bei mir Partien gelernt, oder ich hab sie auf der Martha gelernt, so kann man das auch sagen."

 

 

Der stets humorvolle Horst Stein dirigierte von 1969 an selbst in Bayreuth und brach als Erster den Rekord von Hans Knappertsbusch. 138 Mal waltete Stein im „mystischen Abgrund“ des Festspielhauses. Über Hamburg kam Horst Stein schon 1955 – mit 27- an die Staatsoper Unter den Linden, Erich Kleiber hatte ihn dorthin verpflichtet. 1961 holte ihn Rolf Liebermann für 2 Jahre an die Hamburgische Staatsoper als stellvertretenden Generalmusikdirektors. Daran anschließend ging er von 1963 bis 1970 als Generalmusikdirektor und Operndirektor an das Nationaltheater Mannheim. Parallel dazu war er von 1969 bis 1971 erster Dirigent der Wiener Staatsoper, wo er mehr als 500 Aufführungen leitete.

 

Ob „Don Giovanni“ oder „Die Walküre“, ob „Elektra“ oder „Wozzeck“, Horst Stein beherrschte das Opernrepertoire wie seine Westentasche. Seine Bandbreite war enorm. Aber er triumphierte auch im Konzertsaal. Unvergesslich ist vor allem, wie er ein schwieriges, und selten gespieltes Stück wie Franz Schmidts „Buch mit sieben Siegeln“, für das er sich ein Leben lang engagierte, zu überwältigender Wirkung zu steigern wusste.

 

Von 1972 bis 1977 war Horst Stein wieder in Hamburg, diesmal als Generalmusikdirektor. In den 1970er Jahren gastierte er zudem an allen großen Opern- und Konzerthäusern der Welt. . An der Hamburger Musikhochschule leitete er als Professor ein Kapellmeisterklasse und bildete junge Dirigenten aus. Ihnen hat er immer wieder erklärt:

 

 

"Wir haben das Zeug noch mit dem Klavierauszug und mit der Partitur gelernt, denn Platten gab´s doch kaum."

 

 

Horst Stein war neben seinen Opernverpflichtungen in Hamburg und an der Wiener Staatsoper auch Chef von bedeutenden Konzertorchestern, so des Orchestre de la Suisse Romande in Genf, der Allgemeinen Musikgesellschaftin Basel und der Bamberger Symphoniker, mit denen er über 500 Auftritte absolvierte.

 

Horst Stein wollte übrigens schon als Kind Dirigent werden? Auf die Frage, warum er nicht beispielsweise Pianist werden wollte, den er war ein aussergewöhnlicher Pianist, der jede Partitur vom Blatt spielen konnte, antwortete er kurz und bündig:

 

"Da hätt ich ja üben müssen."

 

Horst Stein biederte sich nirgends an, weder bei den Interpreten, so berühmt sie auch sein mochten, noch bei den Mdien, den Schallplattenfirmen oder dem Publikum. Er forderte Ton für Ton musikalische Gefolgschaft. Ihm ging es um Präzision und Genauigkeit. Und das forderte er auch von Sängern und Musikern. Das machte ihn durchaus nicht populär. Horst Stein war kein eingängiger Charakter. Eher war er hartnäckig,. Er war auch kein Showmaker, wie es heute von Dirigenten gefordert wird, er flunkerte nicht und machte sich auch nicht interessant. Das überzeugte im Karajan-Zeitalter freilich nicht jeden. Demut war schon damals keine vermarktbare, also keine besonders gefragte Tugend eines Musikers. Doch Horst Stein blieb stets unbeirrt er selbst. Worauf es ihm ankam, brachte er, schlicht und einfach uf die Formel:

 

„Musikmachen“

 

Horst Stein hat eine Vielzahl von Schallplatten produziert. Er hatte eine Vorliebe für die Romantik und Spätromantik. Seine Wagneraufnahmen gehören zu den besten überhaupt. Seine Wagnerabende in Bayreuth gehören zu meinen besten Bayreuth-Erinnerungen! Aber für Stein galt nicht nur Wagner. Er hat sich beispielsweise wie kein anderer - auf CD - so stark gemacht für den Komponisten Max Reger, dessen gesamtes Orchsterwerk er einspielte. - Am vergangenen Sonntag starb Horst Stein, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und Ehrendirigent des NHK-Orchesters von Tokio, im Alter von 80 Jahren in seinem Haus in der Schweiz. Sein Leiden war lang, doch durfte er, wie es hieß, zuletzt „friedlich einschlafen“.

 

 

 

 

 

Beitrag für DW, „Musikszene“