Brendan Carroll: E. W. Korngold

Dieter David Scholz

 

 

E. W. Korngold: "Das letzte Wunderkind"

 

Erich Wolfgang Korngold war ein musikalisches Wunderkind, das oft mit Mozart verglichen wurde. Seine Oper "Die Tote Stadt" gehörte zu den meist aufgeführten Stücken seiner Zeit. Durch die Vertreibung der jüdischen Komponisten aus Deutschland und Österreich, war Erich Wolfgang Korngold gezwungen, im amerikanischen Exil zu überleben. In Hollywood machte er Karriere als Filmmusikkomponist. Nach dem Krieg war er in Europa fast vergessen. Im Wiener Böhlau Verlag ist jetzt eine erste große deutschsprachige Biografie des Komponisten erschienen. Der Autor ist der britische Korngold-Forscher Brendan G. Carroll. "Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind" lautet der Titel. Das Buch hat 480 Seiten und kostet 39,00 Euro.

 

 

 

Mit der Uraufführung der Pantomime "Der Schneemann" im Jahre 1910 an der Wiener Hof­oper begann für Erich Wolfgang Korngold eine steile Komponistenkarriere, auch wenn die Instrumentation des Stücks noch von seinem Lehrer Alexander von Zemlinsky vorgenommen wurde. Doch der Eleve lernte mit solch atemberaubender Geschwin-digkeit, dass er schon ein halbes Jahr später ohne fremde Hilfe seine Schauspielouvertüre Op. 4 schrieb, die von keinem Geringeren als Arthur Nikisch im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt wurde. Ein genialer Erstlingswurf von klarer Form, raffinierter Instrumentation und thematischem Erfin­dungsreichtum ganz eigenen Stils.

 

Erich Wolfgang Korngold war eine der größten musikalischen Begabungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und hatte spätestens nach der Uraufführung seiner Schauspielouvertüre die musikalische Welt endgültig staunen gemacht. Freilich, sein Vater, Julius Korngold, gefürch-teter Musikkritiker wie Eduard Hanslick und dessen Nachfolger bei der Wiener Neuen Freien Presse, tat alles, den Sohn als Wunderkind aufzubauen und zu vermarkten. Was die Psychologin Alice Miller in ihrem Erfolgsbuch "Das Drama des begabten Kindes" nannte, findet sich in extremer Weise in Erich Wolfgang Korngolds Biographie bestätigt. Brendan Carroll schildert denn auch mit psychologischer Schärfe Julius Korngold als einen jener typischen, verhinderten Musiker, die ihre eigenen unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte auf ihre Söhne projizieren, als einen eigensinnigen, überheblichen und starrsinnigen Mann, dessen Aktivitäten die Karriere seines Sohnes nicht nur förderten, sondern auch beeinträchtigten.

 

Mit 23 Jahren schrieb Erich Wolfgang Korngold den Ohrwurm "Glück, das mir verblieb" in seiner Oper "Die Tote Stadt", die 1920 gleichzeitig in Köln und Hamburg uraufgeführt wurde. Wenig später sorgte sie in New York und in Berlin für Furore und wurde einer der größten Welterfolge der Oper, ja eines der meistgespielten Stücke in den Zwanzigerjahren. Mit keiner seiner vier anderen Opern konnte Korngold diesen Erfolg wiederholen. Weit erfolg-reicher war er als Operettenarrangeur, was seiner "Reputation als "seriöser" Komponist nicht zuträglich war. Aber es führte zur Zusammenarbeit mit dem Regisseur Max Reinhardt, dem er 1934 nach Hollywood folgte, um die Mendels-sohnsche Musik zu Reinhardts Verfilmung des Mid­summer Night´s Dream zu bearbeiten. Der Anschluß Österreichs verhinderte seine Rück­kehr nach Österreich. Korngold nahm die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an und wurde einer der bedeutendsten Filmmusikkomponisten. Von den Nationalsozialisten als "entartet" gebrandmarkt, konnte er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder an seine Vorkriegserfolge anknüpfen. Seine Opern, seine sinfonischen Werke, seine Kammermusik und Lieder waren vergessen, sein Ruf als Komponist sogenannter "ernster" oder "absoluter" Musik ruiniert.

 

Der zwischen Romantik und Moderne angesiedelte Komponist Erich Wolfgang Korngold, jüngster Wiener Musik-professor seiner Zeit und in den Zwanzigerjahren "stärkste Hoffnung der neuen deutschen Musik", hatte, wie man bei Carroll liest, das Pech, sowohl durch den Aufstieg der Nationalsozialisten als auch durch den Aufstieg der seriellen Musik vor allem der Schönberg-Schule, die weithin als die Neue Musik schlechthin galt, um seine Karriere gebracht worden zu sein. Man hielt Korngold in seinem unbeirrten Festhalten an der Tonalität für altmodisch und rückständig und bescheinigte seiner Musik mit ihren vermeintlichen An-klängen an Richard Strauss, Debussy und Puccini Eklek-tizismus. Ende seines Lebens galt Korngold endgültig als Unzeitgemäßer. Er selbst betrachtete sich nicht ohne Resignation und Verbitterung als letzten Repräsentanten einer aussterbenden Spezies.

 

Dass der Wiener Böhlau-Verlag 15 Jahre nach Erscheinen der englischsprachigen Original­ausgabe jetzt eine von Gerold Gruber sorgfältig übersetzte deutsche Ausgabe des Korngold-Buches von Brandon Carroll herausbringt, ist erfreulich. Zweifellos ist es die Reaktion auf eine seit den 90er Jahren sich abzeichnende Neubewertung Korngolds und die seither einsetzende Korngold-Renaissance auf den Opernbühnen, in den Konzertsälen und auf dem CD-Markt. Auch eine große Korngold-Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien 2007-2008 bezeugt eine neue, sachlichere Auseinandersetzung mit Korngold. Als Korrektur fragwürdiger Wert- und Vorurteile, als "Beitrag zur Rehabilitation und Anerkennung von Korngold und seiner Musik" will der Autor, der 1982 gemeinsam mit Konrad Hopkins die Korngold-Society gründete, seine umfassenden Biografie denn auch verstanden wissen. Es ist die erste nach wissenschaftlichen Kriterien groß angelegte und umfassende Monographie über den Komponisten und das Ergebnis einer 35-jährigen Beschäftigung mit Korngold und seinem Werk. Carrell, der über Korngold promovierte, hatte bei seinen Forschungsarbeiten Korngolds Söhne kennengelernt und erhielt unbegrenzten Zugang zum Korngold-Nachlass. Ein Glücksfall, den er neben seinen umfangreichen Recherchen und Quellenstudien in zahlreichen Archiven und Bibliotheken nutzte, um in bisher nicht erreichter Gründlichkeit und Genauigkeit die beispiellos erfolgreiche Karriere des Hollywoodkomponisten und die tragisch abreißende des Opernkomponisten Korngold nachzuzeichnen. Eine Geschichte von "enor­mem, frühem Erfolg und spätem, traurigem Scheitern". Der Autor will sein Buch zwar ledig­lich als Anstoß zur weiteren Korngoldforschung verstanden wissen. Doch man darf es mit seinen zahlreichen, erstmals veröffentlichten Materialien und Photographien, mit seinem Werkverzeichnis, umfangreicher Diskografie und Bibliografie zweifellos schon jetzt als Stan­dardwerk bezeichnen, an dem keiner vorbeikommt, der sich mit Korngold beschäftigt.

 

 

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