Casella: La Donna Serpente. Martina Franca

Dieter David Scholz

 

 

Photos: Mimmo Laera / Festival della Valle d´Itria

Ausgrabung von Alfredo Casellas Oper "La Donna Serpente"

zum Auftakt des 40sten Jubiläums des Festivals della Valle d´Itria

 

 

Das Publikum, darunter hochdekorierte Hüter der Staatsmacht, erstaunlich viele Geistliche im Ornat, Politprominenz, die örtliche High Society und viele junge Menschen, stand natürlich ergriffen auf, als Maestro Fabio Luisi das "Orchestra Internazionale d´Italia" die Italie-nische Nationalhymne spielen ließ, bevor noch die eigentliche Ouvertüre zur dreiaktigen Oper "La Donna serpente" anhub, dem Eröffnungsstück des diesjährigen Festivals della Valle d´Itria im malerischen Barockstädtchen Martina Franca im Herzen Apuliens. Es ist eines der renomiertesten und das wohl bedeutendste Musikfestival im Süden Italiens, das sich zur Aufgabe macht, neben barocken (regionalen) Spezialitäten immer auch wenig bekannte oder gespielte Werke des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts auszugraben.

 

Warum man zum 40sten Jubiläum des verdienstvollen - ausserhalb Italiens viel zu wenig beachteten - Opern- und Musikfestivals ausge-rechnet Casellas 1932 in Rom uraufgeführte Oper frei nach Carlo Graf Gozzis Tragikomödie als Eröffnungsstück ausgewählt hatte, bleibt ebenso weitgehend im Dunklen wie die theatralische Umsetzung des "szenischen Märchens", als das der venezianische Goldoni-Kontrahent sein Stück verstanden wissen wollte.

 

Sicher, neben Arturo Toscanini war Alfredo Casella "der bedeutendste musikalische Gesandte seines Landes" (Jörg Stenzl), der sich in allen Ländern Europas, in den USA und in der UdSSR für eine genuin italienische Musik stark machte, und damit dem faschistischen Denken seines Landes zuarbeitete, ähnlich wie seinerzeit Richard Strauss in Deutschland.

 

Der "kultivierte Weltbürger" Casella war, wie Jörg Stenzl in seinem empfehlenswerten Buch über die Musik Italiens zwischen 1922 und 1952 bemerkte, zwar auch einer derjenigen Komponisten, die "angesichts eines erdrückenden kulturellen Erbes den politischen Verstand verloren" haben und zum "Zeloten Mussolinis" wurde, aber er war immerhin der einzige der "generazine dell80", der während des Krieges umzudenken begann und die Irrtümer und Verbrechen des Faschismus erkannt hatte.

 

Casella, der am Pariser Konservatorium bei Gabriel Fauré studiert hatte, mit Enescu Kammermusik spielt und mit Debussy befreundet war, wurde Assistent bei Alfred Cortot und selbst Lehrer am berühmten Conservatoire, bevor er nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs in seine Heimat zurückkehrte und Lehrer an der Accademia di Santa Cecilia in Rom wurde, aber auch Bücher schrieb, ein bedeutender Herausgeber der Werke anderer Komponisten war, nicht zuletzt ihm ist die Wiederentdeckung Vivaldis im 20. Jahrhundert wesentlich zu verdanken, und eine beachtliche Karriere als Dirigent machte. Er war einer der führenden Pianisten seines Landes.

 

Als Komponist distanzierte sich Casella sowohl vom Wagnerismus als auch vom italienischen Verismus. In Ars Nova schrieb er im Januar 1918 programmatisch,"daß sich unsere Musikalität in Richtung auf eine Art Klassizismus ( ("una specie di classicismo") hin entwickelt, der in harmonischer Eurythmie die letzten italienischen und ausländischen Neuheiten umfassen und sich ebenso vom französischen Impressionismus wie vom Strauss´schen Dekadentismus, von der Primitivität Strawinskys wie von der kalten Wissenschaftlichkeit Schönbergs, von der spanischen Sensibilität und der kühnen Fantasie der jüngsten Ungarn unterscheiden wird. Dies ist meiner Meinung nach unser wirklicher musikalischer ´Futurismus`. "

 

Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz hört man dennoch die Einflüsse der Gescholtenen in der Musik Casellas deutlich heraus, neben Anspielungen und Anleihen bei italienischen Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Casellas Musik ist enorm gelehrte, kluge "Musik über Musik", auf der Höhe ihrer Zeit. Casella war ein Virtuose der Stilimitation und -Anverwandlung. Dass seine Musik im Falle der "Donna serpente" schlagkräftig und wirkungsvoll daherkommt, bis hin zu Passagen, die bedenklich an Carl Orffschen primitiven musikalischen Populismus erinnern, macht sie tatsächlich, wie ihr oft vorgeworfen wird, faschismiusverdächtig. Allerdings gibt es neben galanten Menuetten, zierlichen Sarabanden, effektvollen Schlachtmusiken und zackigen Märschen in dieser reich instrumentierten wie orchestral groß besetzten Musik auch eine zarte, traum- und elfenhafte, poetische Ebene. Erstaunlich wie sensibel und einfühlsam leise sie vom ansonsten gern aufs Laute und Lärmende setzenden Fabio Luisi wiedererweckt wird, dem zweiten Mann nach James Levine an der New Yorker MET.

 

Schade nur, dass Regisseur Arturo Cirillo die szenischen Entsprechungen des an Bildern, Verwandlungen, Maschineneffekten und Theaterzaubereien so reichen Stücks schuldig bleibt, all das, was das Werk seinerzeit (als Schauspiel) in Venedig so erfolgreich machte. Die Geschichte der Fee, die aus dem Feenreich ausgebrochen ist, um in menschlicher Gestalt die Geliebte und Frau des jungen Königs von Tiflis zu werden unter der Bedingung, dass der Mann, der sie liebt, sie nicht nach ihrer Herkunft fragen und sie inerhalb von acht Jahren nie verfluchen darf (sonst wird sie für 200 Jahre in eine SChlange verwandelt), läßt an Wagners "Lohengrin" denken. Die Prüfungen, denen der junge König unterzogen wird, um ihrer würdig zu sein, erinert nicht zufällig an Mozarts "Zuberflöte". Der Librettist, Filmscreen-Autor und Ex-Futurist Cesare Vico Ludovici hat Gozzis Theaterstück für Casellas Oper (bei Umänderung der Namen der dramatis personae) teils ironisch, teils absurd, scharfzüngig, gewitzt und poetisch umgeschrieben. Ideal eigentlich für Casellas auf die "Zauberflöte" expressis verbis Bezug nehmende Oper, die sich jeder allzu eindeutigen Verquickung von Handlung und Musik, aller Rechtfertigung des singenden Menschen auf der Bühne verweigert zugunsten eher formal-spielerischen Umgangs mit musikalischen Ideen, Anspielungen und Assoziationen.

 

Statt barockes Zaubertheater läßt Regisseur Cirillo auf sechs wie blaue Melonenviertel daliegenden, verschiebbaren Weltsegmenten, die ihm Bühnenbildner Dario Gessati baute, einen hüpfenden, huschenden Elfenreigen abschnurren, der in seiner schleierhaften, grellbunten Kostümierung von Gianluca Falaschi leider etwas beliebig wirkt und dem Zushauer die vielschichtige, subtile, phantastische (und moralisch belehrende) Handlung wohl kaum nahebringen dürfte. Keine Spur von Felsen, Wüste, Palaästen, Tempeln und Gärten. Nicht zu denken an die Handlungsorte Tiflis und den Kaukasus. Etwas phantasievoller hätte diese Zauberoper schon inszeniert sein dürfen. Aber wenigstens die vier Commedia dell´ Arte-Figuren Brighella, Tartaglia, Truffaldino und Pantalone kommen zu ihrem Recht und auch sängerisch bleibt im großen Ensemble (einschließlich des sehr engagierten Coro della Filarmonica di Stato "Transsilbania" di Cluj-Napoca) kein Wunsch offen. Zuzanna Marková singt eine flirrende Fee Miranda und Angelo Villari einen geradezu Radameshaften Altidòr.

 

Wenn auch szenisch manches zu Wünschen übrig bleibt, man kann immerhin in Martina Franca Casellas Vertonung des Gozzi-Stücks (das auch dem jungen Wagner als Vorlage für seine Oper "Die Feen" diente), die nach der Uraufführung nur noch in der Mailänder Scala 1942 und 1959 aufgeführt wurde, zuletzt 1982 in Palermo, einmal wieder erleben. Schon dafür hat sich die Reise ins ferne Apulien wieder einmal gelohnt!

 

Beitrag in DLF, Kultur heute

 

 

 

 

Da die meisten Werke Gozzis nicht in deutscher Übersetzung greifbar sind, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gozzis "tragicomisches Mährchen in drey Akten" in der Übersetzung von F. A. C. Werthes (1777) 2004 im "Kleinen Archiv des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 44" des Röhrig Universitätsverlags vorliegt und im Buchhandel erhältlich ist, reich kommentiert und herausgegeben von Julia Bohnengel und Arndt Beise.