Steinthaler: Richard Tauber

Dieter David Scholz

 

 

Taubers Jahre im Exil und der

Nazi-Operettenmord

 

Evelyn Steinthaler: Morgen muß ich fort von hier

Richard Tauber – Die Emigration eines Weltstars

Milena Verlag, 227 S., 23,00 Euro

 

Am 16 Mai 2011 jährte sich der Geburtstag Richard Taubers zum 120. Male. Er war der Lehár- und Mozart-Tenor der 1920er bis 1940er Jahre und neben Caruso und Gigli einer der populärsten Sänger des zwanzigsten Jahrhunderts, wobei er sowohl in der E- wie in der U-Musik zuhause war. Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 floh Tauber nach Wien, nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 nach England. Über diese Jahre seines Exils und den Niedergang der Gattung „Operette“ hat die österreichische Biografie- und Exilforscherin Evelyn Steinthaler ein wichtiges Buch geschrieben.

 

 

Es war am 27. September 1947, als Richard Tauber zum ersten Mal nach seiner Vertreibung aus Österreich (neun Jahre zuvor) in einer Produktion der Wiener Staatsoper sang. Nicht auf österreichischem Grund, sondern bei einem Gastspiel des „Don Giovanni“ im Londoner Opernhaus Covent Garden. Es war zugleich sein letzter Opernauftritt. Er war bereits todkrank und sang gewissermaßen um sein Leben. Es muß eine erschütternd intensive Aufführung gewesen sein. Mit ihm auf der Bühne stand die junge, NS-belastete Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. Sie hat mir wenige Jahre vor ihrem Tod von dem ungeheuren Eindruck dieses Abends erzählt:

 

„Er sang derartig phänomenal, wie jemand in der fabelhaftesten Beherrschung der Stimme, der Atemtechnik, natürlich, des Stils. Er hat einen Mozartstil gehabt, trotzdem er so fabelhaft war in der Operette, es gibt nicht jeden Säng­er, der Operette singen kann und der dann auch in Mozart so fabelhaft ist. Aber der Tauber, der konnte halt alles. Da stand man also davor und hörte zu, wie vor einem Märchen. Es war auch ein Märchen. Also es war vieles besonders, nicht grad nur das Timbre, die Tech­nik, die Musikalität war fast das Allererste, aber natürlich, ohne diese herrliche Stim­me hätte er die Musikalität gar nicht so zur Wirkung bringen können. Aber es war Phrasie-rungen und Atemtechnik, und Genauigkeiten und Freiheiten, die nicht über Bord gingen, sondern die wirklich angepasst waren und erlaubt waren, also das war der Tauber. Fabelhaft!"

 

 

 

Keine vier Monate später war Richard Tauber tot. Er wusste nicht, dass er Lungenkrebs im fortgeschrittenen, unheilbaren Stadium hatte. Seinen letzten Don Ottavio hatte er nur noch mit der Kraft eines Lungenflügels gesungen. Damit schloß sich der Vorhang eines beispiellos erfolgreichen wie tragischen Sängerlebens und eines 15-jährigen Exils.Evelyn Steinthaler hat diese fünfzehn Jahre so genau, so eindringlich und so sachlich beschrieben, wie niemand vor ihr. Es ist nicht die erste biographische Annäherung an den le­gendären Sänger, der immerhin einer der führenden lyrischen Tenöre der Zwanziger- bis Vierzigerjahre war, aber die erste nach wissenschaftlichen, quellenkritischen Methoden geschriebene, ohne Kitsch und Verklärung. Wobei sich die Autorin vor allem auf Dokumente und Materialien aus dem Nachlass Taubers stützt, die im NORDICO Museum der Stadt Linz lagern.

 

Die Autorin erzählt das Tauberleben vom Ende her. Natürlich präsentiert sie dem Leser das biographische Grundgerüst der ganzen Vita und der Karrierestationen des Sängers, beschreibt seine Erfolge, seine Liebesbeziehungen und seine Skandale. Aber für Evelyn Steinthaler ist Richard Tauber auch Inbegriff eines Medienphänomens. Sie macht anhand seiner Selbstinszenierung deutlich, welche Bedeutung er für die Popkultur hatte. Als Sänger, der zwischen E- und U-Musik changierte, der sich nicht an vorgegebene Strukturen hielt und jenseits konventio­neller Orte auftrat, „in Parkan­lagen, Kinosälen, oder bei Sportveranstaltungen“. Damit habe Tauber, so schreibt Evelyn Steinthaler, den Weg bereitet „für Tenöre wie Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras, die ebenfalls die Opern­bühnen dieser Welt hinter sich ließen, um unter anderem Léhars Tauber-Lieder für ein Mil­lionenpublikum zu singen“.

 

Richard Tauber ist für Evelyn Steinthaler das Paradebeispiel eines Interpreten jener Gattung von satirisch unterhaltendem Musiktheater, die heute nur noch als verharm-loste, in Verruf geratene Musiktheatergattung existiert, die ihr ut­pisch-subversives, ja explosives Potential weitgehend verloren hat. Die Autorin schreibt zurecht: „Der Name Richard Tauber steht für eine lang verlorene Form der Operette, als diese noch von künstlicher Übertreibung, frivoler Sinnlichkeit, unendlicher Dramatik, anarchischer Verspieltheit und unbändiger Lebensfreude geprägt war“. So wie die Kunstform der Operette bis heute durch die Folgen des Nazi-Genozids an den jüdischen Operettenkünstlern mitsamt ihrer aufführungspraktischen Traditionen geprägt ist, so wirkt auch die „Rezeption Taubers nach seinem Tod“ durch die „massive Propaganda der Nationalsozialisten gegen ihn“ nach, so Evelyn Steinthaler.

 

Als Richard Tauber 1948 verstarb, trauerte die ganze Welt um den Weltstar. Nachrufe wurden in allen Ländern der Erde geschrieben. Nur nicht in Deutschland und Öster-reich. Die Nazis hatten ganze Arbeit geleistet, indem sie ihn nachhaltig als „Schmalz-tenor“ verhöhnt hatten. Erst „zum zehnten oder dann zum fünfundzwanzigsten Todestag schrieb man über Tauber, die Jahrhundertstimme, auch in Deutschland betroffene Artikel, mitunter auch unter Bezugnahme auf seinen Cousin Max, der sich den gemeinsamen Namen zunutze machte“, wie man in dem Buch von Evelyn Steinthaler liest. Er begann mit der massiven, realitätsfernen Verfälschung des Tauber-lebens zur netten, unpolitischen Tauber-Legende. Wozu die Verdrängung seiner Vertreibung sowohl in Deutschland wie in Österreich gehörte. Dem arbeitet das Buch Evelyn Steinthalers verdienstvoll entgegen.

 

Man erfährt in dem Buch Steinthalers nicht nur, dass die Nazis das gesamte Vermögen Taubers, immerhin eine Million Reichsmark, konfiszierten und dass er nach dem Krieg keinerlei Wiedergutmachungszahlung aus Deutschland erhielt, beschämend ist auch die Tatsache, auf die die Autorin hinweist, dass keinerlei offizielle Anstrengungen unternommen wurden, weder in Deutschland noch in Österreich, den prominenten Emigranten Richard Tauber zurückzurufen. Ein Schicksal, das viele andere jüdische Emigranten ebenso traf. Evelyn Steinthaler macht es deutlich anhand von Künstlern wie Vera Schwarz, Joseph Schmidt, Bruno Walter und Fritzy Massary. Auch über sie liest man Detail- und Aufschlussreiches. Und die Autorin des nicht genug zu lobenden Buches nennt ungeniert die Namen jener nichtjüdischen Operettensänger, die bereit-willig die ins Exil vertriebenen, vielfach deportierten und ermordeten jüdischen Operettensänger ersetzten. Es sind Publikumslieblinge bis in die Sechzigerjahre gewesen. Ein wichtiges Buch. Ein Buch, auf das man lange gewartet hat.