Rainer Bunz Der vergessene Maestro

Dem Vergessen entrissen, einer der produktivsten Rundfunk- und Schallplattendirigenten vor dem Zweiten Weltkrieg.


Eine pikante, aber auch erschütternd beispielhafte deutsch-jüdische Emigrantengeschichte

Er war in den „Goldenen Zwanzigerjahren“ und Anfang der Dreißigerjahre ein bedeutender Dirigent in Berlin und Dresden, bis ihn die Nazis  in die Emigration trieben. Dann wurde er hierzulande vergessen. Der Publizist Rainer Bunz hat jetzt die erste Biografie des Vergessenen im Twentysix Verlag herausgebracht.   



Der Startenor Richard Tauber hat seine Schallplattenrezitals bevorzugt mit dem Dirigenten Frieder Weissmann eingespielt. Frieder Weissmann war ein idealer Sängerbegleiter. Beide waren sie beim Berliner Schallplattenkonzern Carl Lindström unter Vertrag.  Weiss-mann verantwortete für Carl Lindtröms Marken Parlophon und Odeon bis 1933 rund 2.000 Schallplatteneinspielungen. – Geboren wurde Frieder Weissmann, dessen eigentlicher Vorname Samuel lautete, im Hessischen. Er wuchs in Frankfurt am Main auf, wo sein Vater Kantor der Hauptsynagoge war. Nach seinem Studium in Heidelberg – und nach dem Ersten Weltkrieg - wagte Frieder Weissmann den Sprung in die Dirigentenlaufbahn. Er wurde Korrepetitor an der Oper in Frankfurt , schließlich an der Deutschen Staatsoper in Berlin unter Erich Kleiber. Dann machte er die Kapellmeister-Ochsentour durch die Provinz. Münster Stettin, Frankfurt waren seine wichtigsten Stationen, bevor er Ständiger Gastdirigent der Dresdner Philharmonie wurde. Rainer Bunz hat in seiner respektgebietenden Biographie aus weltweit verstreuten Dokumenten akribisch Leben und künstlerische Vita des vergessenen Dirigenten rekonstruiert und nacherzählt.


Mit der Dresdner Sängerin Meta Seinemeyer, die zu den gefeiertsten Wagnersängerinnen ihrer Generation gehörte, war Frieder Weiss-mann jahrelang verlobt.  Erst auf dem Totenbett der an Leukämie erkrankten 34-jährigen heiratete er sie standesamtlich. Mit großer Einfühlung beschreibt Rainer Bunz nicht nur die Beziehung Weissmanns zu Meta Seinemeyer, sondern auch zu all den andere Frauen, die seien Lebensweg kreuzten. Er war ein äußerlich attraktiver Casanova, der zwar  lebenslang  zu seiner zweiten Ehefrau  Rosita Che-vallier-Boutell stand, sie aber mit vielen anderen Frauen betrog wie man liest, um schließlich seine letzten Lebensjahre von einer hinge-bungsvollen Amsterdamer Freundin Sylvia Quiel beschützt und bis zu seinem Tod im Jahre 1984 begleitet zu werden, die ihrerseits mit dem niederländischen Maler Carel Willink verheiratet war. Eine besonders großherzige ménage à trois.  Aber die weit ausholende, pikan-te Monographie von Rainer Bunz ist alles andere als eine voyeuristische Schlüssellochbiographie, sondern eine aus sehr privater Per-spektive einfühlsam erzählte, erschütternd beispielhafte deutsch-jüdische Emigrantengeschichte jenseits von bloßem Namedropping, obwohl man unendlich viel über Personen und Musikinstitutionen auf beiden Seiten des Atlantiks erfährt.


Jan Kiepura, Gitta Alpar, Vera Schwarz, und  der Cellist Emanuel Feuermann gehören zu denjenigen jüdischen Künstlern, mit denen Weissman regelmäßig in Berlin zusam-menarbeitete, wo er das Berliner Sinfonie Orchester und die Berliner Philharmoniker dirigierte. Er war vor allem aber einer der produktivsten Rundfunk- und Schallplattendirigenten vor dem Zweiten Weltkrieg, worüber die man in der Biographie allerhand erfährt.  Aufgrund seiner jüdischen Herkunft verließ Weissmann  nach Hitlers Machtergreifung Deutschland.  Es war eine atemberaubende Odyssee, die über Amsterdam, Argentinien und die USA nach Kuba führte. Weissmann  dirigierte am Teatro Colon, er dirigierte das Cincinnati Symphony Orchestra und die New Yorker Philharmoniker.  Und auch in den USA war er bei den renommierten  Schallplattenkonzerten Columbia Records und RCA Victor unter Vertrag. Mit zahlreichen Stars der Metropolitan Opera, wie den Sopranistinnen Zinka Milanov, Licia Albanese und Helen Traubel, aber auch dem Tenor Jan Peerce und dem Bariton Leonard Warren, hat Weissmann Schallplatten eingespielt.  Eine seiner letzten Aufnahmen in Berlin hatte er übrigens 1933, kurz vor seiner Emigration gemacht, mit dem Tenor Joseph Schmidt.


1944 wurde Frieder Weissmann amerikanischer Staatsbürger.  Er leitete nicht nur jahrelang das New Jersey Symphony Orchestra und das Philharmonische Orchester von Pennsylvania. Als Nachfolger von Artur Rodzindki übernahm er von 1950 bis 1953 auch die Leitung des Sinfonischen Orchesters von Havanna in Kuba, es war die exotischste  von Weissmanns vielen Karrierstationen. Er startete zwar ab 1945 eine rege Aktivität als Gastdirigent nicht nur in den USA, sondern auch in Kanada, Mexiko, Italien und den Niederlanden.  Doch in Deutschland konnte er nicht mehr Fuß fassen.  Wie abschätzig der zurückkehrende Emigrant in seinem Heimatland behandelt wurde, auch darüber liest man Aufschlussreiches in dieser hervorragenden, an Fakten, Materialien und Details reichen Biografie des endlich dem Vergessen entrissenen großen deutsch-jüdischen Dirigenten.


Besprechungen auch in MDR-Kultur  und SWR 2