Musik-Theater & mehr
Eine österreichisch-jüdische Erfolgsgeschichte
Das erste Familien-Unternehmen der modernen Unterhaltungsindustrie
Johann Strauss (Schreibweise auch Strauss), der Begründer der Wiener Walzerdynastie, wurde geboren, als Napoleon wie ein Wirbelsturm durch Europa fegte. Sein Großvater war Jude. Das Wirtshaus in der Wiener Floßgasse, in dem Johann Strauss zur Welt kam, hieß denn auch im Volksmund "Judenwirtshaus". Was noch die Nazis in arge Bedrängnis brachte. Goebbels, so liest man, habe der Gedanke an die "ungarische" Herkunft des Wiener Walzerkönigs schlaflose Nächte bereitet. Daher habe er angeordnet, dass das Reichssippenamt die jüdische Abstammung von Johann Strauß vertuschen solle. Man ließ die eindeutige Eintragung vom "getauften Jud" kurzerhand aus dem Trauungsbuch von St. Stephan in Wien verschwinden.
Es ist eine ungeheure wie ungeheuerliche jüdische Familiensaga, die Hanne Egghardt in ihrem Buch ausbreitet: Die Geschichte vom Aufstieg und Ende, um nicht zu sagen Fall eines Familienclans, der die Geschichte österreichisch-jüdischer Assimilierung veranschaulicht am Beispiel der Erfindung eines Tanzes und als Beispiel des ersten Unternehmens der modernen Unterhaltungsindustrie. Tanzen war in der Zeit nach den Napoleonischen Kriegen die neue Leidenschaft des Bürgertums geworden. Es war die lebenssüchtige, ja sublim erotische Form der Kompensation von Kriegsleid und Kriegsfolgen, eine Reaktion auch auf Metternichschen Polizeistaat und Geldentwertung.
Über die wirtschaftlichen Turbulenzen hinweg zu tanzen war den Herrschenden willkommener, als dass sich das Volk über die katastrophalen sozialen Zustände politisch Luft zu machen versuchte. Man förderte die Entstehung von immer neuen Vergnügungsetablissements. Wien verfiel in einen regelrechten Walzerrausch. Man baute Tanz-Salons,- Lokale, -Säle, -Tempel, ja Freilufttanzanlagen von heute unvorstellbarer Größe, sie fassten bis zu 10.000 Personen, ausgestatte mit allen Schikanen der Dekorations- und Illuminationskunst. Der Apollosaal, der "Sperl", die "Kettenbrücke", der "Odeon Saal", das "Tivoli", "Dommayers Casino" und wie sie alle hießen. Musik lag in der Luft. Das war die Stunde des Johann Strauss.
Johann Strauss, früh Vollwaise geworden, zum Buchbinder ausgebildet, trat als Geiger in das Orchester Michael Pamers, des Großvaters des Wiener Walzers ein, dann in das Orchester Josef Lanners, schließlich komponierte er selbst. Walzer. Einen nach dem andern. Und gründete mit Anfang zwanzig sein eigenes Orchester von zunächst zwölf Mann. Er zog durch die Wiener Wirtshäuser. Und anstatt auf freiwillige Gaben zu warten, nahm er Eintritt. Das war neu und der Anfang einer für heutige Begriffe sagenhaften Karriere. Hanne Egghardt beschreibt sie plastisch. Strauß reüssiert in den bedeutendsten und größten Tanzlokalen und Musiktempeln, sein Orchester wächst auf 200 Mann an, seine Einnahmen und Gagen werden immer sagenhafter. Seine Gastspiele führen ihn in alle Welt, zu Königen und Kaisern. Eine schwindelerregende Erfolgsgeschichte, die sich über drei Generationen auswächst.
Das Musikimperium Strauß dominierte die Tanzsäle des 19. Jahrhunderts. Doch so glänzend die Karriere der Firma Strauss nach außen wirkte, so knallhart, zerstritten, widersprüchlich waren die Verhältnisse im Inneren: Johann Strauss Vater sorgte mit seinem Privatleben für Skandale, verließ Frau und Kinder und lebte in wilder Ehe mit einer Modistin. Aus Rache erlaubte seine Frau ihrem ältesten Sohn, "Schani" genannt, gegen den Willen des Vaters Musiker zu werden. Johann Strauss Sohn wurde zu seines Vaters schärfstem Konkurrenten. Und übertrumpfte ihn. Nicht nur als Frauenheld. Auch als Musiker. Er wurde schließlich "Der Walzerkönig".
Gesundheitlich war Johann Strauß Junior, der neben dem Walzer ein zweites Erfolgsprodukt entwickelte, die Wiener Operette, ein kränkelnder Mann. Deshalb musste sein Bruder Josef, der lieber Ingenieur geworden wäre, immer wieder als Kapellmeister der unermüdlich aktiven Strauß-Kapelle einspringen. Eduard, der jüngste - und als Musiker am wenigsten originelle - Bruder, Hofballmusikdirektor und der schöne Edi genannt, verbrannte am Ende seines Lebens schließlich das gesamte handschriftliche Notenarchiv der Strauss-Kapelle und löste sie 1901 auf. Möglicherweise als Vergeltung dafür, dass sein Bruder Johann ihn testamentarisch nicht bedachte und sein gesamtes Vermögen der Gesellschaft der Musikfreunde vermacht hatte. Womöglich sollten aber auch unliebsame Urhebergeheimnisse vertuscht werden. Man rätselt bis heute darüber.
Fast so spannend wie ein Krimi lesen sich die Lebensbeschreibungen der vier Sträusse, ihrer Rivalitäten, Leidenschaften und Ängste, ihrer Erfolge, ihrer Niederlagen, ihre erotischen Eskapaden, ihre Erbstreitigkeiten und ihre Erdumkreisungen im Dreiviertaltakt. Die Geschichte dieses ersten Unternehmens der modernen Unterhaltungsindustrie ist geradezu romanhaft. Hanne Egghardt schreibt sie denn auch im Plauderton, wenn auch wissenschaftlich fundiert, angereichert mit Pikantem, Frivolem, Politischem, allerhand "Wiener Schmäh" und vielen Abbildungen. Man erfährt in diesem Buch nahezu alles Wesentliche über die Strauss-Dynastie und zum Thema Walzer. Aber man bekommt auch einen entlarvenden Einblick in die gerade für Wien so typische Differenz zwischen Sein und Schein gewährt, die nicht ohne Grund das zentrale Thema der erfolgreichsten Operette des Strauß-Juniors ist, der "Fledermaus".
Buchbesprechung im DLF, 14.01.2013