Manon Lescaut Puccini in Amsterdam

Photo: De Nationale Opera Amsterdam / Bernd Uhlig

Regielich sterile Halluzination einer Sterbenden in Amsterdam

Dank Alexander Joel eine Musikalische Sensation:

Puccinis "Manon Lescaut" 


Puccinis zweite Oper hatte am 10.10.2016 Premiere an der Nationaloper in Amsterdam Premiere. Andres Breth inszenierte. Alexander Joel dirigierte.


Das Stück spannt  einen Bogen zwischen Hoffnung und Desillusionierung, Liebe und Tod in der Wüste. Andrea Breth zäumt das Pferd gewissermaßen von hinten auf. Sie zeigt das Stück als Halluzination einer Sterbenden, die sich in den letzten Momenten ihres Lebens an die wichtigen Episoden ihres Lebens, Liebens und Sterbens erinnert. Man erlebt „Manon Lescaut“ im Rück-blick. Das ist kein neuer Einfall, aber es ist immerhin doch eine Möglichkeit, das Stück anders zu erzählen als linear. Und das tut Andrea Breth auch. Sie erzählt es nicht in den Bühnenbil-dern, die gefordert sind von Puccini, also nicht in Paris, in Le Havre und in der Wüste einer amerikanischen Strafkolonie, sondern sie zeigt es in einem Einheitsbühnenbild, einem moder-nen weißen Raum mit verschiebbaren Wänden.  Der Boden dieses Raumes ist mit Sand bestreut, es ist das stilisierte Wüstenbild des vierten Aktes, könnte man sagen. Und darin zeigt sie vier Stufen eines Stationendramas, das mit einem furchtbaren Tod durch Verdursten endet.


Die Konzeption ist eindeutig und klar. Allerdings zeigt sich dann doch in der Umsetzung, dass das Stück schwierig ist. Nicht weniger als sieben Librettisten haben ja für Puccini diese Pre-vost-Romanvorlage bearbeitet, um sie glaubwürdig auf die Bühne zu bringen. Die Manon Lescaut ist eine sehr zwiespältige Figur, die nicht durchweg glaubwürdig ist. Einerseits ist sie eine Kokotte, ein Luxusweibchen, andererseits eine tief empfindende Frau, die alles aufgibt, und bereit ist, alle gesellschaftlichen Konventionen über Bord zu werfen für ihren Geliebten. Das zu verwirklichen auf der Bühne fällt nicht leicht. Auch Andrea Breth nicht. Sie hat sich des Kunstgriffs der Übertreibung bedient, weil sie entweder mit den Brüchen dieser Figur nicht klar kam, oder sie hervorhenben wollte. Im ersten Akt tritt Manon auf wie eine hoheitsvolle Pries-terin, wie eine Wagnersche Isolde, im zweiten Akt wird sie parodiert als Trampeltier ohne Benehmen, das mit Steinen und Juwelen behängt ist wie Klytemnästra in Straussens „Elektra“. Und dann  im dritten und vierten Akt wird plötzlich eine ganz andere Manon gezeigt, die  zu großer Expression fähig ist. Interessant ist, dass im zweiten Akt fast fellinihafte karikatu-risti-sche, ja parodistische Züge auftauchen, es gibt ironisch-prachtvolle Kostüme und aberwitzige Figuren: Nach der venezianischen Trauergesellschaft des ersten Aktes treten plötzlich Nonnen mit gigantischen Flügelhauben auf, ein insektenhaftenr Grotesktänzer, ein Zwerg, rosarot ge-kleidete Priester. Die hinreißenden Kostüme sind das Verdienst der Moidele Bickel, die in die-sem Jahr gestorben ist. Sie war die Grande Dame des Bühnenkostüms und sorgte für die stärksten Szenen der Produiktin. 


Was die Sänger angeht: Stefano la Colla ist vielleicht der beste italienische Tenor seiner Gene-ration, ein junger Mann mit einer enormen Stimme. Er singt den des Grieux fabelhaft. Aber auch Eva-Maria Westbroeck, die die Manon singt, ist eine außergewöhnliche Sängerin. Ich finde sie allerdings als Wagnersängerin glaubwürdiger denn als Puccinisängerin. In den beiden ersten Akten überzeugte sie mich nicht so sehr, aber dann hatte sie im dritten und vierten Akt plötzlich eine andere Stimme, und das war schon aller Achtung wert. Aber man muss sagen, die gesamte Besetzung ist außerordentlich gut. 


Das Dirigat von Alexander Joel war geradezu fulminant. Er hat diesen Puccini gewissermaßen aus dem Rückblick der Salome dirigiert. So stürmisch, so dramatisch, so sinnlich, so rausch-haft habe ich die „Manon“ von Puccini noch nicht gehört. Das war wirklich eine Sensation und das Publikum war zurecht mehr als begeistert.


Beitrag auch in DLR Kultur, Fazit 10.10.2016, 23.17 Uhr