Gassmann L' Opera Seria Brüssel

Fotos: © Baus / La Monnaie De Munt


René Jacobs reanimiert zum zweiten Mal glanzvoll

Florian Leopold Gassmanns "L´Opera seria" in Brüssel


Premiere 9.2.2016



Der böhmische Komponist Florian Leopold Gassmann, der in Italien ausgebildet wurde und dort seine ersten Triumphe feierte, war ab 1763 Nachfolger Christoph Willibald Glucks am Wiener Hof und ab 1772 Hofkapellmeister. Er war einer der wichtigsten Vorläufer der Wiener Klassik. Er hat in seinen komischen Opern Mozart geradezu vorgearbeitet. Doch gnadenlos wie die Musik-geschichte ist: Mozarts Genie ließ Gassmann verblassen. So geriet auch seine ehedem so populäre Commedia per musica "L'Ope-ra seria", eine wunderbare Parodie auf die spätbarocke Oper und den gesamten damaligen Opernbetrieb, die 1769 im Burgtheater in Wien uraufgeführt wurde, für über 200 Jahre in Vergessenheit. Vor mehr als 20 Jahren hat René Jacobs dieses Opernjuwel ausgegraben und erstmals einem begeisterten Publikum vorgestellt. Es war eine Koproduktion der Berliner Staatsoper mit den Schwetzinger Festspielen, die dann auch im Théâtre des Champs-Elysees in Paris gezeigt wurde. Jetzt widmet er sich diesem Werk erneut und zwar im Cirque royal, der Ausweichspielstätte des wegen Renovierung geschlossenen Théâtre de la Monnaie in Brüssel.  Regisseur und Ausstatter ist diesmal Patrick Kinmonth, langjähriger Mitarbeiter von Robert Carsen.


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Kein Opernführer verrät etwas über das Werk, das nichts weniger als den Opernbetrieb mit seinem Theateralltag und den üblichen Theaternöten als Theater auf dem Theater vorführt. Es ist eine Satire auf die hohlen Themen und Texte der Seria, auf Starallüren und Sängertypen. Man will die Oper L'Oranzebe" aufführen. Der Komponist hört auf den sinnigen Namen Sospiro und schreibt auch so: Seufzer. Der Dichter nennt sich Delirio (Gefasel) und liefert sich mit jenem die herzigsten Intrigen um die Frage, ob Mu-sik oder Wort in einer Oper wichtiger seien. Der Impresario heißt  Fallito (Pleitemacher). Komponist und Librettist sind von ihrem Werk sehr angetan, dem Impresario ist es aber zu lang. Er kürzt und zerfetzt gnadenlos. Dann treffen ein dummer Tenor und drei kapriziöse  Sängerinnen ein, streiten sich um alles und verlangen zusätzliche Arien. Im ersten Akt überschlagen sich Intrigen, Ei-telkeiten, Amouren, Capricen und Rivalitäten. Im zweiten Akt folgt die Opernprobe. Im dritten Akt findet dann die Premiere der eigentlichen Opera seria satt:  "L'Oranzebe" ist eine krachende Parodie einer barocken Oper seria: In ihr geht es um einen sieg-reichen Feldherrn, der in Liebesentscheidungsnot zwischen seiner Gefangenen, der indischen Königin, und der Schwester seines Herrschers, der Prinzessin von Hindustan geht. Der Feldherr ist der Tenor, der in einem von einem großen Krokodil gezogenen Kampfwagen seinen großen Auftritt hat und seinem Herrscher Oranzebe, Kaiser der Mogulen, die gefangene indische Königin präsentiert; dazu gibt es den "Auftritt" eines Elefanten. Diese Opera seria endet schließlich in einem gewaltigen  Fiasko samt Prüge-lei. Dann brennt auch noch der Theaterdirekor mit der Kasse durch. Die Katastrophe wird nur dank des beherzten Ein-greifens der Mütter "en travestie" verhindert.


In heutigen Zeiten würde es keinem Opernkomponisten auch nur im Traum einfallen, sich über die ach so teure und deswegen auch so gefährdete Gattung Oper lustig zu machen. Noch im achtzehnten Jahrhundert war man gelassener: Pergolesi, Haydn, Galuppi, Albinoni und viele andere schrieben spöttische, beißende Opernparodien, in denen sie sich und ihre Zunft selbstkritisch aufs Korn nahmen und dem zahlenden Publikum einen herzhaft kritischen Blick hinter die Kulissen der Opernproduktion gestatteten. Gassmanns Parodie is vielleicht die Beste.


Als René Jacobs zum ersten Mal dieses bis dato vergessene Opernjuwel reanimierte, hat der inzwischen verstorbene Jean-Louis Martinoty Regie geführt. Jetzt inszenierte Patrick Kinmonth, langjähriger Ausstatter Robert Carsens. Seine Inszenierung  ist schon aufgrund der so ganz anderen Räumlichkeit nicht vergleichbar, denn man spielt in einer Zirkusarena. Jean-Louis Martinoty hat seinerzeit eine Guckastenbühne liebevoll ironisch vollgstellt mit verstaubtem Gerümpel, Requisiten, Prospekten und Dekora-tionen aus dem Opernfundus. Diese Produktion hatte den unwiderstehlichen Charme von Schmierentheater und war eine lustvolle Klamotte. Patrick Kinmonths Inszenierung dagegen ist großes stilvolles Ausstattungstheater, ästhetisch ausgefeilt bis ins kleinste Detail. Er macht der turbulenten Komödie des Librettisten (und Gluckmitarbeiters) Calzabigi Beine mit einer durchgestylten, immer wieder auch ritualisierten „Performance“ auf zwei hintereinander liegenden Spielflächen, einer großen Bretterbühne und einer barocken Kulissenbühne, die unentwegt offene Verwandlungen zeigt, dazwischen das Orchester. Das ist kulinarisches Theater, technisch beeindruckend, verglichen mit Martinotys Inszenierung  aber von steriler Perfektion. 


Hinreißend sind die  historischen Kostüme von Patrick Kinnmonth! Seine Personenführung ist quicklebendig, lässt den Sängern viel Raum für persönliche Entfaltung und überzeugt durch souveränes Handwerk. Tableaus in Zeitlupe und gestische Symbole hätten allerdings eben sowenig sein müssen wie die formal-abstrakten Choreographien Fernando Melos'. Sie wirken, einmal abgesehen von eingestreuten barocken Tänzen, wie beliebige, ja überflüssige Garnitur der Musik, die für sich selbst spricht. An szenischen Gags, großen Gesten und temporeicher Situationskomik mangelt es nicht. Die inszenierten Publikumsreaktionen im Zuschau-erraum sind etwas heftig. Da hat die Regie dem Affen wohl zu viel Zucker gegeben. Aber unterm Strich, obwohl Kro-kodil und Elefant fehlen, eine beeindruckende Inszenierung, die das selten gespielte, lange Werk unterhaltsam und prächtig beglaubigt,  fern von allem obsessiven "Regisseurstheater.


Auch sängerisch überzeugt die Produktion. Elf handverlesene Solisten sind mehr als nur rollendeckend. Es sind allesamt hochka-rätige Spezialisten. Sehr souverän ist der Impresario von Marcos Fink. Die Sopranistinnen Robin Johannsen, Sunhae Im und Alex Penda überbieten sich an barockem Ziergesang und feuern zielsicher ihre Koloraturraketen ab. Star des Abends ist jedoch ein Ausnahmetenor: Mario Zeffiri gibt als Ritornello, der mit seinem fulminant hohen, hellen und beweglichen  Silbertenor eine hin-reißende Karikatur von eitel-gespreiztem, dummem Opera seria-Sänger abgibt. Am wenigsten überzeugten die drei Counters Magnus Staveland, Stephen Wallace und Rupert Enticknap  als Mütter en travestie. Auch die Regie weiß mit ihnen erstaunlich wenig anzufangen. Mit Wehmut denkt man an die  frühere Besetzung (Curtis Rayam, Dominique Visse und Ralf Popken) zurück. Da standen René Jacobs andere Kaliber von falsettierenden Sängerdarstellern zur Verfügung.


Als Jacobs das Werk erstmals ausgrub, spielte das Concerto Köln. In Brüssel arbeitet er mit dem Baroque Orchester B´Rock und Musikern des La Monnaie Symphony Orchestra zusammen. Zweifellos ist das Concerto Köln das brilliantere, virtuosere Orche-ster. Aber René Jacobs weiß auch dem Brüsseler Ensemble ordentlich einzuheizen und den überschäumenden musikalischen Witz des Stücks zum Ausdruck zu bringen. Er entfaltet auch diesmal ein mehr als vierstündiges und doch kurzweiliges Feuerwerk, in-dem er die sich überstürzende, einfallsreiche Musik von Gassmann quicklebendig und phantasievoll musizieren lässt, pointiert und rasant, nicht so scharf gemeißelt wie ehedem, weicher im Klang, aber mit enormer Spiellust, die offenbar auch die Musiker angesteckt hat: Eine Ausnahmeproduktion, reines Vergnügen  auf höchstem Niveau. Das Premierenpublikum war ausnahmslos begeistert.


Beiträge in Concerto (Beilage der Deutschen Mozart Gesellschaft), Das Orchester, NMZ

und in DLR-Kultur„Fazit“