Falstaff in Magdeburg

Photos: Andreas Lander


Ein starkes Stück am Theater Magdeburg

Giuseppe Verdis „Weltabschiedswerk“ Falstaff

Premiere 11.09.2021


Seit 12 Jahren ist Karen Stone Generalintendantin des Magdeburger Theaters. Bevor nächstes Jahr eine neue Führungsriege am Theater der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts antritt, eröffnet Karen Stone nun ihre letzte Spielzeit mit Verdis heiterem Weltabschiedswerk „Falstaff“, das sich auf Shakespeares Heinrich IV. und seine »Lustigen Weiber von Windsor« bezieht. Karen Stone hat vorab verlautbaren lassen, sie wolle „sehr librettogetreu“ die Geschichte des Schwerenöters Sir John Falstaff auf die Bühne bringen: Seine Suche nach Liebesabenteuern, günstigen Trinkgelegenheiten und seinen Versuch, zwei wohlhabende Frauen gleichzeitig zu erobern, von denen er allerdings ordentlich gefoppt wird.

 

Karen Stone straft ihre Vorankündigung Lügen, denn sie erzählt den Plot um den heruntergekommenen Ritter, der der Ehre und der schlechten Welt eine Nase dreht, als Geschichte eines gealterten Rockstars, also nicht im historischen Windsor zur Zeit Heinrichs des IV., nicht im England des vierzehnten Jahrhunderts, auch nicht im modernen England, wie es 2005 Luca Ronconi in Florenz unternahm, sondern -und ortsneutral. Sie zeigt, gemeinsam mit ihrem famosen Bühnen- und Kostümbildner Ulrich Schulz ein heruntergekommenes Tingeltangel, mit kleiner Bühne, Bar und Wirtshausmobiliar, aufgemöbelt im Stil der 60er-Jahre. Es lässt sich in den Bungalow der zu verführenden Damen umbauen. Es gibt stilechte Kostüme und Frisuren der Sechzigerjahre. Eine Musikbox steht herum, auch E- Gitarren.  Im letzten Akt weitet sich das Zimmer zu einem gespenstischen Wald, in dem ein skurriles, gruftiges Pandämonium stattfindet zur Demütigung des dicken Ritters. Da gibt Regisseurin Karen Stone dem Affen Zucker und lässt Sado-Maso-Dominas, Vogelmenschen, Gespenster und als solche Maskierte auftreten. Sie entfaltet ein mitreißendes, turbulentes Theater voller Situationskomik, Spielfreude, Witz und Ironie. Das gelingt ihr dank präziser, komödiantischer Personenführung aufs vergnüglichste. Eine brilliante Inszenierung.

 

Verdi und sein Librettist Arrigo Boito haben mit „Falstaff“ nicht nur eine prall-sinnliche Theaterfigur, sondern auch eine starke, philosophische Persönlichkeit auf die Bühne gestellt. Sie steht und fällt mit dem Interpreten der Titelfigur. Der war er in Magdeburg sehr überzeugend: ein mächtiger, schöner Bassbariton, ein mächtiges Stück Fleisch, will sagen ein stattliches Mannsbild.  Für die Titelfigur wurde mit Stephanos Tsirakoglou ein Sänger gefunden, der fast idealtypisch den beleibten Sir John Falstaff darstellen kann. 


Neben ihm sind zahlreiche Hausdebütanten und Debütantinnen zu erleben (so u.a. Noa Danon als Alice Ford, Hyejin Lee als Nanetta, Jadwiga Postrozna als Mrs. Quickly, Marko Panteliæ als Ford und Benjamin Lee als Fenton). Zwei exzellente Damen- und Herrenquartette im Zentrum, es sind ja insgesamt 11 solistische Sänger, alle sind hervorragend besetzt,  geradezu eine Luxusbesetzung für so ein Haus. Vor allem aber ist dieses Ensemble schauspielerisch außerordentlich, und diese Oper lebt von Ensembles, es gibt ja kaum Arien. Sängerisch ist die Aufführung ein Glücksfall.  Aber auch musikalisch!

 

Der Falstaff“ ist so etwas wie die musikalische Quintessenz Verdis am Ende seines Lebens. Ein hochkomplexes, instrumental reich besetztes Werk. Das spielt man in Magdeburg allerdings in einer reduzierten Fassung von Stefano Rabaglia.

Am Pult stand die junge russische Dirigentin Anna Skryleva, seit August 2019 ist sie Generalmusikdirektorin des Hauses.  Anna Skryleva hat den Spagat zwischen Ensemble-Oper, fröhlichem Totentanz, Commedia Lirica und Opera Buffa auf sehr dramatische Weise, sehr kraftvoll gemeistert. Sie ist ein Feuerkopf von Dirigentin Die reduzierte Fassung, die man spielt, hat übrigens sehr zur Transparenz der opulenten Musik beigetragen und damit ihrer Lesart. Sie treibt die gewissermaßen skelettierte Musik ins Hochrelief und brennt ein Feuerwerk an musikalischen Orchesterwitzen, Anspielungen und Reminiszenzen ab. Sie weiß die blitzartig wechselnden Wendungen zu nehmen, die wie Nadeln stechen und trifft damit den Nagel auf den Kopf.  Das Orchester ist gut in Form. Es spielt klangschön, präzise, trocken, scharf und witzig.  Die Skryleva wagt straffe Tempi, gnadenlose Schärfe und hat Mut zum Lärm. Eine starke musikalische Interpretation des Stücks. Alles in allem ein toller Abend, den man Karen Stone zu verdanken hat.

 

Ein paar Worte noch zu den Verdiensten der scheidenden Intendantin darüber hinaus: Sie war 12 Jahre Generalintendantin am Haus sie kann auf 14 Inszenierung zurückblicken Sie hat das musikalische und sängerische Niveau des Hauses deutlich angehoben, sie hat einen breiten und vielfältigen Spielplan präsentiert, insgesamt waren das 108 Stücke im Musiktheater. Sie hat ein gutes Händchen für Regisseure, Sie setze weniger auf sensationelles Trash-oder Regisseurs-Theater als auf prall sinnliche, teils moderne teils historische, aber doch immer werkorientierte Inszenierungen. Nicht zuletzt verstand sie etwas vom Singen und von Sängern, keine Selbstverständlichkeit bei Intendanten, d.h. sie sorgte immer wieder für außergewöhnliche Sängerbesetzungen, ob im deutschen, italienischen oder Französischen Repertoire. Und sie hat sich für den Nachwuchs im Zuschauerraum stark gemacht, Kinderoper zu Mitmachen war eines ihrer favorisierten, erfolgreichen Projekte.

 

Beitrag auch in DLF-Kultur, „Fazit“ 11.09.2019 (siehe Mediathek des DLF)